20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
doch nicht mit mir schleppen kann. Also gebe entweder ich dich frei oder deine Leute finden bald Gelegenheit, dich loszumachen. Das ist dein Gedanke, deine Berechnung – – –“
Ich wollte weitersprechen; aber er hatte die Frechheit, mich mit dem mehr als offenen Bekenntnisse zu unterbrechen:
„Ja, das denke und das hoffe ich! Old Shatterhand ist kein Mörder. Selbst wenn er strafen will, tut er dies nur dann, wenn vollständige Beweise vorhanden sind. Und diese fehlen dir.“
Es war ein außerordentlicher Ton, in welchem er sprach. Er pochte auf meinen guten Ruf, denn er war überzeugt, daß ich alles unterlassen würde, was geeignet sei, denselben zu schädigen. Er warf mir einen triumphierenden Blick zu wie einer, der dem andern eine sehr schwere Partie Schach abgewonnen hat. Ich aber blieb trotzdem bei meiner bisherigen Ruhe, als ich ihm entgegnete:
„Du irrst dich allerdings nicht und irrst dich doch. Du irrst dich nämlich nicht in mir, aber du irrst dich in der Lage, in welcher du dich befindest. Ich kann freilich nicht behaupten, daß du einen Weißen getötet habest; aber du hast mehrere gefangengenommen.“
„Darauf steht aber nicht der Tod!“
„Was denn?“
„Das Gesetz der Prärie erwähnt dazu gar nichts.“
„O doch, wenn auch nicht direkt. Wie wird der Diebstahl, der Raub eines Pferdes bestraft?“
„Mit dem Tode.“
„Und der Raub eines Menschen? Soll der etwa gelinder oder vielleicht gar nicht bestraft werden?“
„To-kei-chun treibt keinen Menschenraub.“
„Was denn?“
„Ich habe die Bleichgesichter gefangengenommen, aber nicht geraubt!“
„Pshaw! Über den Sinn von Worten streite ich mich nicht mit dir. Wenn ich ein Pferd, welches nicht mir gehört, fange und fortschaffe, so ist dies Pferderaub; du hast die Bleichgesichter gefangen und fortgeschafft, das ist Menschenraub. Du hast ihnen sogar alle Taschen geleert und damit bewiesen, daß du sie und ihre Habe als dein Eigentum betrachtest. Auf Menschenraub aber steht bei mir der Tod. Wenn ich dich dafür mit einer Kugel bestrafe, kann mich nicht der leiseste Vorwurf treffen. Du hast dich also sehr verrechnet, als du auf meine Gerechtigkeit pochtest. Du hast den Tod verdient.“
„Und du wirst mich doch nicht töten!“ behauptete er beharrlich.
„Irre dich ja nicht länger! Meine Kugel wird dich unbedingt treffen, wenn du nicht auf den Vorschlag eingehst, den ich dir jetzt machen werde.“
„Ich kenne ihn. Du brauchst ihn mir gar nicht zu sagen.“
Auch aus diesen Worten klang dieselbe Unverfrorenheit wie vorher; ich freute mich darüber, anstatt mich über sie zu ärgern, denn die Festigkeit, mit welcher er meinem guten Ruf vertraute, war ja eigentlich eine Ehre für mich.
„Welcher Vorschlag wird es sein?“ fragte ich.
„Du willst die gefangenen Bleichgesichter zurückhaben und dafür mich freigeben.“
„Das ist allerdings richtig. Was sagst du dazu?“
„Was ich schon gesagt habe: Du behältst mich, und wir behalten sie.“
„Ist das dein letztes Wort?“
„Ja.“
„So bist du verloren!“
„Nein!“
„Pshaw! Du verrechnest dich eben. Auf Menschenraub steht der Tod; sie aber haben nichts getan, was euch berechtigt, ihnen das Leben zu nehmen. Wenn ich dich nicht begnadige, so töte ich dich. Rechne ja nicht darauf, daß ich dich mit mir herumschleppen werde! Die Comanchen aber dürfen sich nicht an dem Leben der Bleichgesichter vergreifen.“
„Sie würden es aber doch tun, denn sie hätten meinen Tod zu rächen.“
„Das wäre ein Verbrechen, denn du hast ihn verdient. Und noch eins: Glaubst du denn, daß ich sie in den Händen deiner Krieger lassen würde? Ich hätte im Gegenteil nichts Eiligeres zu tun, als sie zu befreien.“
„Pshaw!“ antwortete er in wegwerfendem Tone.
„Pshaw? Verstelle dich nicht! Du täuschest mich nicht. Du bist innerlich überzeugt, daß mir ihre Befreiung gelingen würde. Ich hätte eigentlich gar nicht so viele Worte mit dir machen sollen; aber ich bin – – –“
„Du bist Old Shatterhand“, unterbrach er mich, „der kein Blut vergießen wird. Und eben diese deine vielen Worte beweisen, in welcher Verlegenheit du dich befindest. Du magst und wirst mir nicht das Leben nehmen und weißt also nicht, wie du es anzufangen hast, uns die Bleichgesichter aus den Händen zu locken. Sie bleiben in unserer Gewalt.“
Er glaubte, mir überlegen zu sein, doch war ich meiner Sache zu gewiß. Perkins aber fühlte sich empört über diese freche
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