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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zugesprungen. Sie zückten ihre Messer, schwangen ihre Flinten und Lanzen und umringten mich in allen möglichen drohenden Stellungen.
    „Still, seid still!“ überschrie ich ihr Geheul. „Hört, was ich euch zu sagen habe!“
    Dabei wirbelte ich den schweren Bärentöter nach rechts und links, nach hinten und vorn, um einige Burschen, welche sich zu nahe an mich machten, von mir abzuhalten. Dadurch kam der eine und der andere mit dem Kolben in unangenehme Berührung; sie verstärkten ihr Geschrei und machten Miene, im Ernst auf mich einzudringen; da überbrüllte ein alter Kerl alle die andern:
    „Uff, uff, uff! Schweigt, ihr Krieger der Comanchen! Der gute Manitou hat uns einen großen Fang gesandt. Dieser Mann ist das berühmteste unter allen Bleichgesichtern; er wird morgen mit denen, die dort hinten liegen, am Marterpfahl sterben.“
    Ich sah über die Roten hinweg nach dem Hintergrund; dort lagen die sechs weißen Gefangenen.
    Als die Roten dem Alten gehorchten und schwiegen, fuhr er in triumphierendem Ton fort:
    „Ich habe diesen weißen Mann nicht sogleich erkannt, weil er nicht den Anzug eines Jägers trägt. Hört seinen Namen, ihr Krieger der Comanchen! Es ist Old Shatterhand!“
    „Old Shatterhand – Old Shatterhand!“ ertönte es rundum in erstauntem, aber auch drohendem Ton, aber die mir zunächst standen, wichen unwillkürlich zurück.
    „Ja, ich bin Old Shatterhand, der Freund und Bruder aller roten Männer, welche das Gute lieben und das Böse hassen“, ließ ich mich nun wieder hören. „Hier bei euch am Marterpfahl sterben, das werde ich nicht, denn To-kei-chun, euer Häuptling, hat mich zu euch gesandt. Ich komme als sein Bote, und wer es wagen sollte, sich an mir zu vergreifen, den brauche ich nicht zu töten, denn To-kei-chun wird ihn bestrafen.“
    Das klang so wahr und so zuversichtlich, daß es den beabsichtigten Eindruck nicht verfehlte. Sie wichen noch weiter zurück und flüsterten sich leise Bemerkungen zu. Die Augen waren zwar feindselig auf mich gerichtet, aber wie auf einen Feind, den man nicht anzugreifen wagt. Nur der Alte trat einen Schritt näher und rief mir zu:
    „To-kei-chun hat dich gesendet? Das ist eine Lüge!“
    „Wer kann sagen, daß Old Shatterhand jemals gelogen habe?“ fragte ich.
    „Ich!“ antwortete er.
    „Wann und wo?“
    „Damals als du unser Gefangener warst und uns doch entkamst.“
    „Das lügst du selbst! Sprich, welche Lüge soll ich damals gesagt haben?“
    „Nicht mit Worten, sondern durch die Tat hast du damals gelogen. Du gebärdetest dich als unser Freund und handeltest doch als unser Feind!“
    „Dein Mund ist voller Unwahrheit. Hatte ich nicht den Sohn To-kei-chuns in meiner Gewalt? Sollte er nicht sterben? Habe ich ihm nicht das Leben geschenkt und ihn sicher zu euch geführt? Aber welchen Lohn bekam ich dafür? Ihr behandeltet mich als Gefangenen! Wessen Tun war da verwerflich? Das meinige oder das eurige?“
    „Du durftest fort und befreitest auch die andern Gefangenen!“ antwortete er, schon weniger zuversichtlich.
    „Sie waren meine Gefährten, und die Versammlung eurer weisen Männer gab sie frei.“
    „Weil du sie durch deine Faust und mit deinen Gewehren dazu zwangst. Du bist nicht unser Freund und Bruder, und To-kei-chun hat dich nicht zu uns gesandt!“
    „Es ist genauso, wie ich sage: er schickt mich her!“
    „Kannst du es beweisen?“
    „Ja.“
    „Uff! Wie will die Klapperschlange beweisen, daß sie nicht giftig ist! Öffne deinen Mund, und erfahre dann, ob wir dir Glauben schenken!“
    „Ihr werdet mir glauben, denn ich habe euch ein Totem zu übergeben.“
    „Ein Totem? Von To-kei-chun? Er ist zurückgeblieben. Warum sendet er einen Boten? Warum kommt er nicht selbst?“
    „Weil er nicht kann.“
    „Warum kann er nicht? Gib das Totem her!“
    „Wer ist in seiner Abwesenheit der Anführer? Der soll es erhalten.“
    „Ich bin es.“
    „Kannst du ein Totem lesen?“
    „Ja. Mehrere von uns können das.“
    „Da hast du es.“
    Ich zog die Blätter aus der Tasche und gab sie ihm. Er nahm sie und gebot seinen Leuten:
    „Umringt dieses Bleichgesicht, und laßt es nicht von der Stelle! Es will uns betrügen. Ein Totem wird auf Leder gemacht, aber nicht auf so ein Ding, was die Weißen Papier nennen. So ein Papier kann nie als Totem gelten.“
    Ah! Nie als Totem gelten! Also darum der befriedigte Blick des Häuptlings, als ich ihm sagte, er solle auf Papier schreiben! Diese Zeichnung galt nicht als Totem; sie

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