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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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meiner Gefangenschaft befand. Dann setzte er das mühsame Studium des Totems fort.
    Von jetzt an verzog er keine Miene mehr; er verstand es, den Eindruck, den das, was er erfuhr, auf ihn machte, vollständig zu verbergen. Als er das letzte Blatt weglegte, blickte er lange und nachdenklich zur Erde nieder; er überlegte; ich hielt es nicht für gut, ihn dabei zu stören. Dann sah er mich wieder an, und zwar in einer Weise, welche, wenn ich meiner Sache nicht so sicher gewesen wäre, mich wohl um mich besorgt gemacht hätte.
    Hierauf winkte er einen Roten herbei, einen starken, gewandt aussehenden Kerl, der sich zu ihm setzen mußte. Sie sprachen leise, sehr leise miteinander, wobei weder der eine noch der andere zu mir herübersah. Das dauerte eine ziemliche Weile, bis der zweite aufstand und wieder in den Halbkreis zurücktrat.
    Diese sonderbare Wirkung des Totems wollte mir gar nicht gefallen. Ich hatte große Aufregung mit wütender Bedrohung meiner Person erwartet, und nun diese Ruhe! Sie wurde mir nachgerade unheimlich, zumal sie so lange anhielt; denn der Alte sagte noch immer nichts, sondern blickte wieder wortlos und still vor sich nieder, und die Roten standen um uns her und hingen mit verlangenden Blicken an ihm, ohne daß er ihrer gespannten Wißbegierde ein Ende machte. Da mußte ich ihn denn doch nun fragen:
    „Hat mein roter Bruder das Totem des Häuptlings verstanden?“
    „Ja“, antwortete er.
    Und nun stand er langsam auf und richtete an die Seinen die mir wieder sonderbare Aufforderung:
    „Es ist etwas geschehen, was man für unmöglich halten sollte. Meine Brüder werden es sogleich hören; sie mögen aber nichts sagen, sondern sich ganz ruhig dabei verhalten; dies ist mein Befehl und geschieht um unsers Häuptlings willen!“
    Hierauf wendete er sich mir wieder zu und fragte:
    „Old Shatterhand hat To-kei-chun gefangengenommen?“
    „Ja“, antwortete ich.
    „Ist der Häuptling dabei verletzt worden?“
    „Nein.“
    „Es ist kein Blut geflossen?“
    „Nein.“
    „Es waren zwei Weiße dabei, darunter derjenige, der uns gestern am Fluß so heimlich entkommen ist?“
    „Ja.“
    „Was wird mit To-kei-chun geschehen?“
    „Er muß sterben, wenn ich nicht in einer Viertelstunde bei ihm bin. Also bedenke wohl die Befehle, welche er dir auf seinem Totem gibt.“
    „Er sagt mir, daß du ihn freilassen willst. Wofür?“
    „Für die sechs Gefangenen hier. Doch ist es eigentlich anders. Um seine Medizin zu retten, will er mir diese sechs Weißen geben. Wann auch er die Freiheit erhält, das soll auf meine Güte ankommen.“
    „So ist es; es steht auf dem Totem. Aber wir brauchen diesem Totem nicht zu gehorchen, weil es nicht von Leder ist; das weiß er gar wohl.“
    „Dann verliert er das Leben!“
    „Er wird nicht sterben. Old Shatterhand ist sonst ein kluges Bleichgesicht; diesmal aber hat er sich verrechnet.“
    „Meine Rechnung ist richtig; darauf kannst du dich verlassen!“
    Ich sagte das, um ihn zu einer unvorsichtigen Äußerung zu verleiten. Sein Verhalten ließ auf irgendeine Hinterlist schließen, die ich entdecken wollte. Es glückte mir, meine Absicht zu erreichen, denn er antwortete:
    „Sie ist falsch; das wirst du in kurzer Zeit einsehen. Warte nur, bis ich mich mit den ältesten dieser Krieger beraten habe!“
    „So beeilt euch, denn wenn die angegebene Frist verstrichen ist, kann der Häuptling nicht mehr gerettet werden.“
    Er suchte trotz dieser Aufforderung zur Schnelligkeit nur sehr langsam einige Rote aus, mit denen er sich niedersetzte, um leise mit ihnen zu verhandeln. Die übrigen verhielten sich nach seinem Befehl ruhig, aber die funkelnden Blicke, die sie einander zu- und auf mich warfen, zeugten von der Erregung, in der sie sich befanden.
    „Sie ist falsch; das wirst du in kurzer Zeit einsehen“, lautete also seine Antwort, die mir von großer Wichtigkeit war. Er hatte etwas vor, was ich nicht wissen sollte. Vielleicht war es schon im Gange! Aber was? Es konnte nur die Befreiung des Häuptlings sein. Wenn die gelang, gerieten Dschafar und Perkins in Gefangenschaft, und ich wurde hier überwältigt.
    Wenn er diesen Plan wirklich hegte, so war derselbe gar nicht schwer auszuführen. Aus dem Totem wußte er, daß nur zwei Wachen bei dem Häuptling sein konnten.
    Die Frist, welche ich ihm gestellt hatte, sagte ihm die ungefähre Entfernung des Ortes, an welchem To-kei-chun zurückgehalten wurde. Und dieser Ort war leicht zu finden; man brauchte ja nur meine

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