2001 Himmelsfeuer
Frau, die, die Beine überkreuzt und mit einer kniffligen Flechtarbeit beschäftigt, neben ihr saß und sang. Singen hauchte dem Korb Leben ein und damit Geist und befähigte die Finger, einen Mythos oder eine wundersame Geschichte in das Muster zu weben. Marimis Mutter war dabei, das Rautenmuster ihres Korbs mit der Geschichte von der Erschaffung der Sterne zu beseelen. »Mutter«, sagte Marimi jetzt etwas lauter, »Opaka beobachtet mich.«
»Ich weiß, meine Tochter. Nimm dich in Acht. Wende die Augen ab.«
Marimis Blick huschte nervös über die von Lärm erfüllte Ansiedlung, wo der Rauch von fünfhundert Lagerfeuern zum Himmel stieg. Ihr Zuhause im Sommer war die große Wüste, in der die Vegetation hauptsächlich aus Beifuß bestand, während diese Berge bewaldet waren, Pinien und Wacholder wuchsen. Was sich an Spukgestalten in dieser laubreichen Gegend herumtrieb, hätte Marimi in Angst und Schrecken versetzt, wäre da nicht der schützende Kreis gewesen, in dem sie sich zusammen mit ihrem Volk aufhielt. Nachts, wenn die Familien auf ihren Pelzdecken lagen und angsterfüllt dem Stöhnen der Geister in den Bäumen lauschten, hofften sie, dass die Fetische der Schamanen, die man um das Lager herum ausgelegt hatte, stark genug sein würden, die Geister fern zu halten. Deshalb sträubte sich auch keiner, den Schamanen zu bezahlen, denn ein mächtiger Schamane verhieß Sicherheit für den Clan und dass die Götter über ihn wachten. Nur allzu deutlich stand ihnen das entsetzliche Schicksal des Eulen-Clans vor Augen, dessen Schamane an einem steilen Abhang tödlich abgestürzt war und sechsunddreißig Familien hinterlassen hatte, die nun niemand mehr in der Welt der Geister vertrat und in deren Namen niemand mehr zu den Göttern sprach. Noch vor dem Ablauf eines Mondes waren Männer, Frauen und Kinder allesamt krank geworden und gestorben. Der Eulen-Clan existierte nicht mehr.
Marimis Angst wurde immer stärker. Sie zwang sich, nur noch an das Körbchen für ihr Baby zu denken. Aber ihre Finger waren jetzt steif und ungelenk, und sie ahnte, dass der Zauber, den sie in dieser Nacht spürte, nicht unbedingt ein
guter
Zauber war …
Die Augen auf Marimi an der gegenüberliegenden Seite des Kreises der Tänzer geheftet, dachte Opaka an die Zeit zurück, da sie selbst einen so reizvollen Anblick geboten hatte. Sie saß auf ihrem erlesenen Büffelfell, umgeben von Geschenken und Essen, Perlen und Federn – Gaben, die man ihr gebracht hatte, um Gunstbeweise und den Segen der Götter zu erflehen –, und stellte verbittert fest, dass Marimi mit ihrem runden Gesicht, den lachenden Augen, dem sinnlichen Mund und dem schimmernden schwarzen Wasserfall von Haar – eben all dem, was die Aufmerksamkeit nicht nur des jungen Jägers und jetzigen Ehemanns geweckt hatte – genau das verkörperte wie einstmals Opaka, ehe Alter und zu viele Seelenreisen außerhalb ihres Körpers sie ausgelaugt hatten. Jetzt war Opaka gebeugt, weißhaarig und fast zahnlos.
Aber das war nicht der Grund, weshalb sie das Mädchen hasste. Das Gift, das in Opakas brüchigen Adern floss, hatte sich sechs Winter zuvor zusammengebraut, während der Piniennussmangelzeit, als die Familien ins Waldgebiet gekommen waren und feststellen mussten, dass die Pinienzapfen bereits abgefallen waren und auf dem Boden verrotteten. Als sie erkannten, dass die Götter die Jahreszeit hatten zu früh anbrechen lassen und das Volk Hunger leiden würde, hob ein großes Wehklagen an, und die Schamanen zogen sich in die Gotthütten zurück, um geweihten Mesquite zu verbrennen und zu fasten und Stechäpfel zu essen und zu singen und um Visionen von den Göttern zu erbitten, aus denen sich ableiten ließ, wo das Volk Piniennüsse finden würde. Aber die Götter hatten die Gebete der Schamanen nicht erhört, weshalb den Topaa eine schreckliche Hungersnot bevorzustehen schien.
Und dann war Marimis Mutter mit einer unglaublichen Geschichte bei Opaka vorstellig geworden.
Ihre Tochter, die damals neun Sommer zählte, sei das Opfer einer schweren Krankheit geworden, die mit Kopfschmerzen und Erblindung und Schwerhörigkeit einhergehe. Die Mutter habe den Kopf des Kindes in kaltes Wasser gesteckt und dafür gesorgt, dass sich die Kleine im Schatten aufhielt, und als die Krankheit überstanden gewesen sei, habe Marimi der Mutter von einem Pinienwald auf der anderen Seite des Flusses erzählt. Das sei ein Hirngespinst, habe die Mutter gemeint, und lediglich auf den Hunger und die
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