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2001 Himmelsfeuer

2001 Himmelsfeuer

Titel: 2001 Himmelsfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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gesehen, der vom bösen Geist besessen war. Jetzt, da sie dicht vor Payat stand, sah sie, dass sein leichenblasses Gesicht vor Schmerz verzerrt war. Welch schreckliches Verbrechen mochte ein so kleiner Junge begangen haben, fragte sie sich, dass er von einem bösen Geist heimgesucht wurde?
    Dann entdeckte sie etwas, was den anderen offenbar entgangen war – zerdrückte gelbe Blüten in den Händen des Jungen. Und sofort wusste sie: Das Kind hatte Blätter des Hahnenfußgewächses gegessen. Dadurch war der böse Geist über Payat gekommen! Jeder wusste, dass dem Hahnenfuß ein böser Geist innewohnte und dass man, wenn man davon aß, krank wurde und sterben konnte. Wenn sich die Blätter noch in seinem Magen befanden, so Marimis jähe Erkenntnis, war es dann nicht möglich, den Geist auszutreiben?
    Ohne zu überlegen, stürzte sie nach vorn und hob, noch ehe jemand einschreiten konnte, den Jungen auf, drehte ihn auf den Bauch und steckte ihm einen Finger in den Hals. Sofort erbrach sich das Kind.
    Die Umstehenden schrien auf, als eine grüne Flüssigkeit in hohem Bogen aus Payats Mund spritzte, und als sich die Lache auf dem Boden ausbreitete, riefen sie, sie habe die Form eines wilden Tiers. Der böse Geist war aus dem Körper des Jungen ausgefahren!
    Sofort machten sich Männer daran, Asche auf den grünen Teufel zu streuen, um zu verhindern, dass er sich bei einem anderen einnistete.
    Als Marimi den Jungen vorsichtig wieder auf die Erde bettete, stöhnte er auf und verlangte nach seiner Mutter, die ihn sofort weinend und lachend zugleich in die Arme schloss und fest an sich drückte. Die Zuschauer waren überwältigt, sprachen mit gedämpfter Stimme von einem Wunder. Etwas Derartiges hatten sie noch nie erlebt. Und sie sahen Marimi mit anderen Augen an, einige voller Bewunderung, andere überrascht, wiederum andere verängstigt.
    Als Payat hustete und die Augen aufschlug und die Farbe allmählich in sein Gesicht zurückkehrte, fingen alle gleichzeitig zu reden an und riefen Marimis Namen in den Nachthimmel.
    »Ruhe!«, befahl Opaka unvermittelt und hob ihren mit Federn und Perlen verzierten Medizinstab.
    Die Menge verstummte. Aller Augen waren auf die weißhaarige Medizinfrau gerichtet, die, so klein und zerbrechlich sie aussah, einen imposanten Anblick bot. Und in der lähmenden Stille, die sich ausbreitete, wurde sich jeder aus dem Stamm bewusst, dass soeben, vor ihren Augen, das schlimmste Verbrechen begangen worden war, dessen sich ein Topaa schuldig machen konnte: Eine junge Frau hatte sich der Anordnung einer Schamanin widersetzt.
     
    Die Schamanen aller Clans versammelten sich in der Gotthütte, durch deren Dachöffnung sich heiliger Rauch schlängelte. Eine düstere Stimmung verbreitete sich in der Siedlung. Man wartete auf den Urteilsspruch. Marimi weinte angsterfüllt im Schoße der Mutter, ihr junger Ehemann ging zornig vor der Unterkunft auf und ab.
    Als die Schamanen wieder erschienen, erklärte Opaka feierlich Marimi und den Knaben zu Verstoßenen. Sie waren tot.
    »Nein!«, schrie Marimi. »Wir haben nichts Unrechtes getan!« Marimis Ehemann spuckte sie an, wandte sich dann ab.
    Sie warf sich der Mutter zu Füßen, flehte sie um Hilfe an. Aber auch die Mutter wandte sich ab und hob zur Totenklage an, die fünf Tage und fünf Nächte dauern würde.
    Den Rücken Marimi und dem Jungen zugekehrt, stellte sich der Stamm im Kreis auf, und mit feierlichem Ernst sprach Opaka den beiden ihre Namen ab, ihre Kleidung und ihre Habe. Fortan verfügten sie weder über einen Speer, um Nahrung zu beschaffen, noch über einen Korb, um Samenkörner zu sammeln, noch über ein Fell, um sich vor Kälte zu schützen. Sie mussten das Lager, den Kreis verlassen, waren auf sich allein gestellt, körperliche Geister, die niemand eines Blickes oder eines Wortes würdigte und deren irdisches Schicksal in der Hand der Götter lag.
    Der Tod wartete schon auf sie.
    Marimi und der Junge hockten am Rande der Siedlung, jenseits von Opakas Fetischen und den mystischen Zeichen, die die Alte in Baumstämme geritzt hatte, und verfolgten apathisch das Tanzen auf der Lichtung, sahen die Frauen ihre, Körbe flechten, die Männer bei ihren Glücksspielen. Marimis und Payats erste und zweite Familien trauerten. Sie hatten sich das Haar abgeschnitten und die Oberkörper und das Gesicht mit feuchter Erde beschmiert und würden einen vollen Mondzyklus lang kein Fleisch essen. Allen Tanten und Cousinen war das Flechten untersagt, Onkeln und

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