2001 Himmelsfeuer
meine Mutter merkte, dass sie schwanger war, wollte sie ihre Anhänger nicht verstören und beschloss zu verschwinden. Sie zog in einen kleinen Ort, in dem es kein Kino gab und die Leute sie nicht erkennen würden. Ich wurde dort geboren, und sie hat mich ganz allein aufgezogen. Ich habe meinen Vater nie gesehen. Ich weiß auch gar nicht, ob sie danach überhaupt noch Kontakt mit ihm hatte. Es war alles sehr traurig. Meine Mutter starb, als ich zweiundzwanzig war. Sie wurde auf dem Friedhof des kleinen Ortes begraben, und bis heute weiß niemand, dass die Frau in jenem Grab die berühmte Sister Sarah ist.«
»Wolltest du deswegen, dass meine Mutter ihr Kind aufgeben sollte?«
Kathleen antwortete mit einem betrübten Lächeln. »Ich habe ihre Traurigkeit miterlebt. Sie hat sie zu verbergen versucht, aber ein Kind spürt so etwas. Ich wusste, dass sie als unverheiratete Mutter mit einem Kind eine Geächtete war. Sie gab sich als Witwe aus, also lebten wir mit einer Lüge. So ein Leben hatten wir Monica ersparen wollen.«
Erica konnte das alles kaum fassen. Sie kam sich vor wie jemand, der ausgehungert vor einer Festtafel sitzt. Die ganzen Fotos und Geschichten, all die Leute, die aussahen wie sie, die mit ihr verwandt waren, eine riesige Familie von Tanten und Onkeln, Cousinen, Großeltern und Urgroßeltern, die so weit zurückreichte.
»Das hier ist Ur-Ur-sowieso«, lachte Kathleen. »Daniel Goodside. Er war der Kapitän eines Boston-Klippers. Ich habe dieses Bild in einem alten Reisekoffer gefunden. Es gehörte zu einem anderen Porträt, das ebenfalls im Jahr 1875 geschaffen wurde. Es war das Bild einer Frau, aber schon zu vergilbt, um noch etwas zu erkennen. Auf der Rückseite stand geschrieben: Marina, Daniels Frau. Ich weiß gar nichts über Marina, kenne ihren Geburtsnamen nicht. Ich nehme an, sie stammte ebenfalls aus Boston. Wie du sehen kannst, fehlte ihm ein Arm. Den hat er wahrscheinlich im Bürgerkrieg verloren. Er war eine Art Künstler.«
Neben dem Porträt klebte ein kleines Aquarell von Daniel Goodside aus dem Jahr 1830 –
›Medizinfrau vom Stamm der Topaa in der Mission San Gabriel Arcangel‹.
»Topaa«, murmelte Erica. »Von dem Stamm habe ich noch nie gehört.«
Kathleen klappte das Album zu und erhob sich. »Vielleicht meinte er Tongva. Es gab damals viele Irrtümer und Verballhornungen von Namen und Worten. Komm, ich möchte dir das Grundstück zeigen.«
Sie hakte sich bei Erica unter. »Der Vater meines Mannes – also dein Urgroßvater – hat die ersten Dattelpalmen aus Arabien hier eingeführt und 1890 mit der Farm begonnen. Ich habe 1946 , gleich nach dem Krieg, in die Familie eingeheiratet. Ich war damals achtzehn. Deine Mutter wurde zwei Jahre später geboren.«
Ihr Gespräch wurde von einem der Hausmädchen unterbrochen, das Erica ans Telefon rief. Es war Jared. »Du kommst am besten gleich zurück. Hier haben sich überraschende Dinge getan.«
Aus Jareds Wohnmobil drang dröhnendes Gelächter. Seine Besucherin war eine massige Frau mit roten Wangen und einem kräftigen Händedruck.
»Dr. Tyler, ich bin Irene Young und ich glaube, ich habe da etwas Interessantes für Sie. Ich unterrichte als Sportlehrerin in Bakersfield, aber mein Hobby ist die Genealogie. Ich betreibe Ahnenforschung über meine Familie, und als ich in der Zeitung las, dass Sie die Besitzurkunde für eine Ranch gefunden haben, die einer Familie Navarro gehörte, musste ich sofort herkommen.« Sie holte ein Lederetui aus ihrer Umhängetasche. »Ich habe meine Familie mütterlicherseits bis zu einer Familie Navarro zurückverfolgt, die auf Rancho Paloma lebte. Hier ist ein Bild von ihnen.« Sie hielt ein altes Foto in einer Plastikhülle hoch. »Wie Sie sehen, steht etwas auf der Rückseite. Dieses Foto wurde 1866 aus Anlass des Geburtstags dieser Frau gemacht«, und sie deutete auf eine würdevolle alte Dame, die im Kreise ihrer Familie saß.
Irene fuhr fort, dass sie bereits einige Nachkommen der Leute auf diesem Foto kontaktiert hatte, dass sie aber zwei Personen nicht identifizieren konnte. Sie deutete auf ein Paar im Hintergrund.
Erica musterte den einarmigen Mann auf dem Foto. »Meine Güte! Das ist ja nicht zu fassen! Das ist Daniel Goodside. Mein Vorfahr!«
»Was?« Jared glaubte, sich verhört zu haben.
»Goodside?«, wiederholte Irene Young. »Ist das sein Name? Ich nehme an, er war mit der Frau neben ihm verheiratet.«
»Das müsste Marina sein«, sagte Erica in Erinnerung daran, was
Weitere Kostenlose Bücher