2009 - komplett
Mann getan hatte und die für Juliana auch keinen Sinn ergab.
Gewiss hatte noch niemand zuvor ihr gegenüber so offen sein Interesse für sie gezeigt. Dieses prickelnde Gefühl war eine berauschende Erfahrung für ein Mädchen ihres Alters.
Auch wenn es sie noch so lockte, die wahre Stärke seiner Anziehungskraft auf sie zu prüfen, so wusste sie doch, dass sie es niemals wagen würde. Sir Ian wollte eindeutig eine Gattin und war auf Brautschau. Es wäre grausam, ihn zu ermutigen, wo sie doch gar nichts zu bieten hatte. Sie musste ihn von seiner Absicht abbringen und ihn von ihrer Untauglichkeit überzeugen.
Juliana sah, wie er einen Kuss auf das lockige Haar des Kindes drückte und es von seinem Schoß hob. „Zeit für das Bett, Kleines.“
„Erzählst du mir noch ein Märchen, Onkel Ian?“, fragte Kit höflich.
„Heute Abend nicht, Süße. Du wirst eines für mich erfinden, wenn du die Augen schließt. Bis morgen früh ist es fertig, eh?“
„Das mache ich! Eines über das Kaninchen, das du mir gemalt hast.“ Kit griff nach Julianas Arm und drückte ihn. „Gute Nacht, Tante Jules.“
„Schlaf gut, Christiana“, erwiderte sie leise und sah, genau wie Ian, zu, wie Honoria aufstand und das Kind hinausführte.
Auch Alan entschuldigte sich und überließ es Juliana, sich allein mit Ian zu befassen.
Da das Mahl abgetragen worden war, verweilten nur noch wenige in der Halle. Die meisten hatten bereits ihre Betten aufgesucht, denn morgen würde ein anstrengender Tag sein. Wegen des Gerichtstags zu Michaeli würde die Burg zum Brechen voll sein. Dorfbewohner und Bauern würden sich hereindrängen, um ihre Pacht zu zahlen und sich dann niederlassen und auf das Essen warten, das Alan und Honoria für alle, die kamen, hatten vorbereiten lassen.
Daran musste Juliana nun denken, als sie auf der Suche nach einem Gesprächsthema war. „Man sagt, dass zum Fest Komödianten auf der Burg sein sollen. Zusätzlich zum guten Melior, der gewöhnlich für Unterhaltung sorgt.“
„Ja, Gaukler und Musikanten kommen immer in der Hoffnung auf ein oder zwei Münzen. Ich hoffe, Ihr gebt mir dann die Ehre eines Tanzes“, sagte er, während er von der Bank aufstand und die Hand ausstreckte, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
„Tanzt Ihr gerne?“
„Ja“, antwortete sie und fühlte sich ein wenig atemlos. Sie legte die Hand in die seine und unterdrückte einen Seufzer, als sie seine warme Haut spürte. Wie oft hatte sie so schon die Hand eines Mannes ergriffen? Wieso war ihr die Geste zuvor nie so intim erschienen? Als sie standen, ließ er ihre Hand nicht los, wie er es hätte tun sollen, sondern umfasste sie mit beiden Händen.
„Da heute Abend keine Musik spielt und es zu früh ist, um sich zurückzuziehen, könntet Ihr vielleicht mit mir spazieren gehen“, schlug er vor.
Sie lachte. Unerklärlicherweise wühlte sie diese Einladung auf. „Spazieren gehen? Im Regen? Ich denke nicht.“
„Im Garten. Dort gibt es am Schuppen ein Vordach. Wir könnten auf der Bank sitzen und den Duft der regennassen Blumen genießen. Die Luft ist mild genug. Was sagt Ihr dazu?“
Juliana zögerte. Sie sollte ihm seinen Wunsch nicht gewähren, aber sie könnte die private Atmosphäre nutzen, um die Streitfrage über die von ihm geplante Verbindung zu klären. „Nun gut“, stimmte sie zu und ging mit ihm zur Küche, die sie durchqueren mussten, um in den Garten zu kommen.
Ian winkte die Magd herbei, die mit den beiden Mänteln über dem Arm im Schatten stand. Berthilde grinste sie an, als sie auf sie zutrat. Eine Verschwörung, dachte Juliana. Selbst die Diener waren mit einbezogen. Wenn Juliana daran dachte, wie sie diese seit ihrer Ankunft herumkommandiert hatte, fragte sie sich, ob die Dienerschaft die ganze Sache nicht selbst ersonnen hatte, um sie loszuwerden.
„Ihr habt das schon im Voraus geplant, ehe Ihr mich fragtet“, bemerkte sie, als er ihr den pelzbesetzten wollenen Mantel um die Schultern legte.
„Und ich hoffte die ganze Zeit, dass Ihr nicht ablehnt.“ Lächelnd legte er seinen eigenen Mantel um und bot ihr dann den Arm. Dieser Mann besaß zu viel Charme, als gut für ihn gewesen wäre. Oder für sie. Bestürzt schüttelte Juliana den Kopf, während sie zu dem einzigen Ort innerhalb der Burgmauern spazierten, wo sie, anders als in ihren jeweiligen Schlafkammern, allein sein konnten.
Ihre umherschweifenden Gedanken quälten Juliana. Wenn sie diesen Zufluchtsort mit Ian Gray doch nur aus einem anderen Grund
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