2009 - komplett
hätte aufsuchen können. Wenn sie doch nur eine Truhe voll Gold besäße, einen kleinen Landsitz irgendwo, und bereit wäre, den Besitz aufs Spiel zu setzen, dann könnte es sein. Die plötzliche Erkenntnis, dass sie sich das so heftig wünschte, überraschte sie. Denn bis jetzt hatte sie so etwas in Bezug auf einen Mann noch nie empfunden.
„Seht Ihr? Der Regen hat aufgehört“, stellte Ian fest, als sie ins Freie traten. Er führte Juliana den mit Steinplatten belegten Pfad hinunter, der hinter dem umgegrabenen Gemüsegarten zu den Beeten mit spät blühenden Blumen führte. Ein kleiner offener Schuppen grenzte an die rückwärtige Mauer der Burg. Werkzeuge zum Umgraben des Gartens reihten sich entlang der hinteren Wand des Baus. Ein langer Tisch mit Bänken nahm die Mitte des Raums ein.
„Ich mag es, wenn Honoria und Alan hier draußen ungezwungen Essen servieren“, erzählte er ihr. „Besonders im Sommer ist es angenehm hier zu sitzen und den Kindern beim Spielen zuzusehen.“
„Ja, ich weiß. Aber der kleine Adam hat versucht, die Pflanzen zu essen“, gab Juliana mit süßsaurer Stimme zu bedenken und dachte an Alans und Honorias Jüngsten, der gerade laufen gelernt hatte. „Insekten auch. Letzte Woche erwischten wir ihn dabei, wie er sich an eine Grille heranpirschte, genau da drüben.“ Sie deutete auf das Kräuterbeet. „Er erwischte sie, bevor wir ihn erwischen konnten.“
Ian gluckste. „Aha, der wird ein Jäger werden, erinnert Euch an meine Worte! Ein feiner Bursche, Euer Adam.“
„Seid Ihr auch sein Pate?“, fragte sie und verschob das Gespräch, dass sie eigentlich mit ihm hatte führen wollen.
„Ja. Alan sagte, da ich so oft komme, um Kit zu sehen, könnte ich auch gleich Adams Pate werden. Ich versuche, sie wenigstens einmal alle vierzehn Tage zu besuchen.
Vater Dennis hält mich zwischen meinen kurzen Reisen über ihr Wohlergehen auf dem Laufenden. Eine Patenschaft ist eine ernste Sache.“
„Ihr liebt Kinder“, sagte Juliana und bedauerte sofort, darauf eingegangen zu sein, denn er könnte ihre reine Neugier als Ermutigung verstehen.
Ian spielte mit ihren Fingern, und Juliana erlaubte es ihm. Sie wusste, dass es ein Fehler war, denn er saß zu dicht neben ihr. Zudem schien es ihr zu vertraut, weil sie sich erst seit kurzem kannten. Juliana stieg der Duft der Sandelholzseife ihres Cousins in die Nase. Aber an Ian schien der Duft irgendwie anders zu sein. Sein Duft lockte sie trotz ihres Widerstrebens.
Er ließ den Blick über den Garten schweifen und atmete tief den Geruch der Rosen ein. „Alan und Honoria sind sehr großzügig, da sie auf diese Art ihre Kinder mit mir teilen. Ich hoffe, ihnen ihre Gunst zurückzahlen zu können – bald.“
Beim letzten Wort wandte Ian den Kopf und sah sie im Dämmerlicht an. Sein Blick zeigte klar, was in ihm vorging. Er wünschte sich eine Burg voller kleiner Grays. Und er glaubte, dass sie ihm dabei helfen würde.
„Dann wünsche ich Euch viel Erfolg“, erwiderte Juliana mit tonloser Stimme. Sie biss sich auf die Lippen und wandte sich ab. Früher schien sich niemand darum gekümmert zu haben, ob sie heiraten und eine Familie haben würde. Sogar sie selbst glaubte, akzeptiert zu haben, dass sie nicht heiraten und dass Ehe für sie keine Rolle spielen würde. Ian Grays Entschluss, ihr den Hof zum machen, ließ die Ehe für sie plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen.
Irgendwie musste sie ihn von seinem Vorhaben abbringen, ohne ihm die Gründe zu nennen, warum sie nicht heiraten konnte. Ihre Armut würde ihn sicher dazu bringen, seine Meinung zu ändern. Aber es würde sie kränken, zugeben zu müssen, dass ihr Vater nicht für sie vorgesorgt hatte. Genauso wenig wie ihr Onkel, der, das musste gerechterweise gesagt werden, wahrscheinlich annahm, ihr Vater hätte es getan. Bei ihrer Ankunft hatte Alan erwähnt, dass er ihr eine Mitgift geben wollte. Doch von einem fremden Verwandten, der zunächst noch nicht einmal ihr Vormund hatte werden wollen, konnte sie keine Wohltätigkeiten annehmen. Das wäre demütigender, als für immer unverheiratet zu bleiben.
Außerdem hatte sie den Entschluss gefasst, keinem anzugehören, sich selbst den Lebensunterhalt zu verdienen und frei zu bleiben. Kein Mann, den sie kannte, würde ihr das erlauben. So etwas hatte es noch nie gegeben.
Ihre Beleidigungen hatten Ian nur amüsiert, und ihre eindeutige Erklärung, dass sie nie heiraten würde, glaubte er nicht. Juliana fragte sich, was
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