2011 - komplett
ertrunken. Gewiss hätten die himmlischen Mächte doch einen Passenderen für die arme, arme Claire finden können. Schließlich sollte er ihre große Liebe werden!
Die Familie drängte sich um ihn und hieß ihn begeistert willkommen. Jeder stellte sich ihm voller Eifer vor, doch der arme Ralph schien sich immer tiefer in seine Decken vergraben zu wollen. Am Ende schob Tante Hortense den Stuhl direkt auf Claire zu.
„Und diese liebreizende junge Dame ist unsere Claire Halliday. Du erinnerst dich gewiss an sie. Sie kam nach dem Tod ihrer Eltern zu uns.“
Ralph blinzelte mehrere Male und kniff die Augen zusammen, sodass Claire sich fragte, ob seine Sehkraft oder gar sein Verstand bei dem Unfall in Mitleidenschaft gezogen worden waren.
„Es freut mich, dich kennenzulernen, Cousin Ralph. Ich habe so viel von dir gehört.“
Sie beugte sich leicht vor, damit er sie besser sehen konnte, richtete sich dann jedoch hastig wieder auf und griff nach ihrem parfümierten Taschentuch. Sie hatten ihn mit einem von Tante Hortenses Umschlägen behandelt – einer Mischung aus Petroleum, Senf, Sulfat und der Himmel allein wusste, was sonst noch. Der arme Mensch roch, als wäre er gerade aus einer Gerberei gekrochen.
„Wie du siehst, haben wir mit dem Anzünden der Kerzen gewartet, bis du dich zusammen mit uns daran erfreuen kannst“, warf Tante Hortense ein und zog die Decken fester um Ralph. „Abner, diese Räder müssen geölt werden. Ich weiß nicht, wie unsere arme verstorbene Tante Delia es ertragen konnte – dieses fürchterliche Gequietsche.“ Dann wandte sie sich an Claire. „Sei ein Engel, mein Liebes, und zünde die Kerzen an.“
Claire neigte den Kopf und raunte Ralph leise zu, während sie nach dem Messingkerzenanzünder griff: „Wenn ein Feuer ausbricht, lauf schnell zur Schneewehe vor dem Haus. Aber achte auf die Stufen. Die sind völlig vereist.“
Sie sah zu ihm hinüber, als sie die Leiter hinaufstieg, um mit den oberen Kerzen anzufangen, und stellte fest, dass Ralph sie nicht aus den Augen ließ. Sein Blick drückte Verwirrung und Hilflosigkeit aus – besonders da Cousine Tillie in diesem Moment das Spinett öffnete und ein ungewöhnlich trübsinniges Weihnachtslied zu spielen begann.
3. KAPITEL
Rafe Hutton konnte nicht den Blick von Claire Halliday nehmen. Alles an ihr glänzte und funkelte – ihr Haar, ihre Augen, ihre Haut. Sie schimmerte, als würde Sternenglanz sie umgeben. Natürlich bildete er sich das alles nur ein, das war ihm klar, was bedeutete, dass es ernster um ihn stand, als man ihm sagen wollte. Seine Nase und Stirnhöhle waren so zugeschwollen, dass er nur mühsam atmen konnte.
Aber die Hitze bereitete ihm die größten Beschwerden. Es war ihm so unerträglich heiß. Er schwitzte am ganzen Leib, und seine Brust schien Feuer gefangen zu haben.
Er versuchte, einige der Decken von sich zu werfen, doch seine Cousine Hortense tadelte ihn und deckte ihn wieder fürsorglich zu. Am liebsten hätte er auch die verdammte Wärmflasche vom Kopf genommen, aber jedes Mal wenn er versuchte, sie zu entfernen, war ihm, als würde sein Schädel platzen. Um sich abzulenken, wandte er den Blick zu dem Engel mit den himmlisch weiblichen Rundungen, der anmutig auf der Leiter stand und die Kerzen anzündete.
Was das göttliche Geschöpf auch berührte, erstrahlte in goldenem Licht, während es immer weiter hinunterschwebte und den riesigen Baum in einen zauberhaften Schimmer tauchte. Schon bald erglühte alles im flackernden Kerzenlicht, und die junge Frau kam auf ihn zu und setzte sich auf einen Stuhl neben ihn.
Sie war hinreißend. Für eine Schönheit wie sie erklommen Männer furchtlos riesige Berge und überquerten weite Ozeane – ihre großen Augen waren grün wie das Meer, ihren Lippen kirschrot, ihre Haut war zart und schimmernd. Sollte diese Erscheinung ein Traum sein, wusste er nicht, ob er je wieder aufwachen wollte.
Es gelang ihm, sich etwas aufrechter hinzusetzen.
Diese Musik, dieses verdammte Geklimper! Wenn er das nur irgendwie stoppen könnte, würde er sich schon etwas normaler fühlen. Allmählich wurde ihm klar, dass der Lärm von einem Spinett kam, das von einer krausköpfigen Frau mit Brille gespielt wurde. Und dann kam Cousine Hortense mit einem Buch in der Hand und bat den Engel an seiner Seite, es für ihn zu halten.
Der Gesang begann. Rafe wusste, dass es sich um Singen handeln musste, weil die engelgleiche Frau neben ihm das Buch öffnete und Noten zu sehen waren und
Weitere Kostenlose Bücher