2011 - komplett
geregelt ist.“
„Du wirst uns fehlen“, bemerkte Fiona McPherson, Besitzerin der gemütlichen Buchhandlung, in der die Frauen sich vor zwei Jahren begegnet waren. Die Liebe zum Lesen hatte sie zusammengeführt und, unabhängig von ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellungen, in einer engen Freundschaft miteinander verbunden.
Addie lächelte. „Ihr mir auch. Unsere monatlichen Begegnungen bedeuten mir sehr viel. Aber ich freue mich darauf, das Studium der Kunst zu vertiefen.“
„Ich habe mich immer danach gesehnt, auf Reisen zu gehen“, sagte Claire Halliday mit einem wehmütigen Seufzer. „Wird deine Schwester dich begleiten?“ Sie legte die ledergebundene Ausgabe von Charles Dickens’ „Weihnachtsgeschichte“, den Gegenstand ihrer heutigen Diskussion, beiseite.
Addie schüttelte den Kopf, und eine kastanienbraune Locke, die ihr immer wieder hartnäckig in die Stirn fiel, ließ sich auch jetzt nicht bändigen. „Nein. Grace wird in den nächsten Monaten mit ihren eigenen Plänen beschäftigt sein.“
Claires Miene hellte sich auf. „Hat Lord Channing um ihre Hand angehalten?“
„Noch nicht. Doch nun, da die Trauerzeit um seine Mutter offiziell vorbei ist, wird Sebastian gewiss während der Weihnachtszeit um Grace anhalten.“
Rose stieß einen spitzen Schrei aus. „Lieber Himmel, habt ihr das gehört?“, rief sie.
„Ich hatte ganz vergessen, dass Sebastians Trauerzeit zu Ende geht. Und nun wird Addies einzige wahre Liebe sich mit ihrer Schwester verloben! Wie kann ich das verhindern, bevor Addie nach Paris abreist? Du liebe Güte, was für eine Katastrophe epischen Ausmaßes!“
„Das ist wirklich ein ziemliches Durcheinander“, stimmte Fern zu.
„Es hat noch nie einen unfähigeren Schutzengel gegeben als mich“, jammerte Rose.
„Wie oft habe ich schon versucht, Adelaide und Sebastian zusammenzubringen? Ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, so oft war es! Und jetzt bleibt mir kaum noch Zeit.“
Sie schwebte aufgeregt hin und her, wobei sie einen Wirbelwind rosafarbener Funken verursachte. Ihr Blick fiel auf Addies Ausgabe der „Weihnachtsgeschichte“.
Rose hielt inne. Die Damen hatten das Buch wegen seines Themas gewählt, und die Geschichte hatte Addie tief bewegt – Addie, gefangen in der Gegenwart und hin und her gerissen zwischen ihrer Liebe für Sebastian und ihrer völligen Hingabe an ihre Schwester. Sie würde nie etwas tun, das Grace verletzen könnte. Nicht einmal im Traum würde sie daran denken, Graces Glück aufs Spiel zu setzen – Rose allerdings hatte da weniger Skrupel. Ein Besuch von einem Geist der gegenwärtigen Weihnacht, in diesem Fall wohl eher Engel, könnte doch gewiss alles in Ordnung bringen. Oder?
Rose war nicht sicher, allerdings verzweifelt genug, um wirklich nichts unversucht zu lassen, wenn sie nur Addie mit ihrer wahren Liebe vereinen – und sich selbst vor einem weiteren Jahrhundert ohne Flügel bewahren könnte.
1. KAPITEL
Drei Uhr fünfundvierzig nachmittags .
Addie stellte ihre Teetasse sorgfältig auf die Untertasse zurück, insgeheim erleichtert, dass kein Zittern ihren inneren Aufruhr verriet. Auf keinen Fall durften Fiona und Claire auch nur ahnen, wie zutiefst unglücklich sie in Wirklichkeit war.
Gerade hatte sie ihnen eröffnet, dass sie nach Paris reisen wollte, und nun wurde es Zeit, das Gespräch wieder auf Mr Dickens’ Geschichte zu bringen. Nur noch ein kleines Weilchen musste sie die höfliche Konversation aufrechterhalten, dann würde sie die ganze lange Zugfahrt bis zum Landsitz ihrer Familie im verschlafenen Dörflein Buntingford in East Hertfordshire nutzen können, um ihre Gedanken zu sammeln –
und keine Fröhlichkeit mehr vorzuspielen brauchen, die sie ganz und gar nicht empfand. „Meine Lieblingsfigur in der Geschichte ist ...“
„Glaubst du, die Verlobung zwischen Grace und Lord Channing wird morgen beim Heiligabendfest deiner Familie bekannt gegeben?“, fiel Claire ihr allerdings interessiert ins Wort.
Sosehr es Addie zuwider war, über die Verlobung ihrer Schwester zu sprechen, rührte sie doch die Freude in den Augen ihrer Freundin. Weihnachten war für Claire immer eine schwierige Zeit, da ihr Verlobter eine Woche vor ihrer Hochzeit, also Weihnachten vor genau vier Jahren, auf tragische Weise ums Leben gekommen war.
„Sehr wahrscheinlich.“ Addies Stimme brach, und sie räusperte sich hastig. „Und nun, da ich euch meine Neuigkeiten mitgeteilt habe, wollen wir uns wieder der
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