2011 - komplett
und der Kaminsims waren mit duftenden Tannenzweigen und Kiefernzapfen geschmückt. Dazwischen sorgten Orangen, Beeren und Granatäpfel für bunte Farbtupfer. Der lange Buffettisch, an dem die Gäste sich an Glühwein, Nüssen, Pralinen, Obst oder Gebäck gütlich tun konnten, war mit Girlanden aus glänzenden Stechpalmenzweigen dekoriert worden.
Sebastian schätzte, dass mehr als zweihundert Gäste den riesigen Raum füllten. Was ihn auch nicht überraschte, da das Weihnachtsfest des Earl of Gresham jedes Jahr das größte gesellschaftliche Ereignis in dem kleinen Dörfchen Buntingford darstellte.
Nicht einmal der dichte Schneefall, der vor einer Weile begonnen hatte, hatte die Menschen davon abhalten können, in Scharen zu erscheinen. Er und Grace blieben nur wenige Sekunden am Eingang zum Saal stehen, doch es genügte, um jeden Anwesenden auf sie aufmerksam zu machen. Satzfetzen drangen an Sebastians Ohr, während sie weitergingen, Weihnachtswünsche tauschten und sich einen Weg auf die Tanzfläche bahnten.
„Da sind sie endlich!“
„Sie ist bezaubernd, nicht wahr?“
„Er sieht so gut aus!“
„Ein vollkommenes Paar.“
„Das schönste Paar in ganz England! Kein Wunder, dass ihre Familien glauben, sie seien füreinander geschaffen.“
„Glaubst du, sie werden heute ihre Verlobung bekannt geben?“
„Hast du gesehen, wie er sie anhimmelt? Wie verliebt er sein muss.“
„Hast du ihren Blick gesehen? Sie muss ihn anbeten.“
„Er ist der größte Glückspilz im ganzen Königreich.“
„Sie ist die glücklichste Frau auf der Welt.“
Als sie die Tanzfläche erreichten, hörte die Musik auf, und einen Moment lang herrschte Stille. Das erdrückende Gefühl, dass die Blicke aus zweihundert Augenpaaren auf ihn gerichtet waren, nahm Sebastian regelrecht den Atem. Er spürte direkt die erwartungsvolle Hoffnung, die ihn umgab wie ein allgegenwärtiger, erstickender Nebel. Natürlich wusste er, was man von ihm wollte. Und da nun das Trauerjahr nach dem Tod seiner Mutter vorüber war, gab es keinen Grund mehr, Grace nicht die Frage zu stellen, die jeder von ihm erwartete. Keinen Grund, nicht den Wunsch zu erfüllen, den seine Mutter auf ihrem Sterbebett an ihn gerichtet hatte – Grace zu heiraten und so für immer die Familien Hartley und Kendall zu vereinen, die seit Generationen Nachbarn und Freunde waren. Keinen Grund, die Verlobung nicht zu verkünden, die alle herbeisehnten – vor allem sein Vater, der ihn seit seinem vierzehnten Lebensjahr regelmäßig daran erinnert hatte, wie sehr eine Verbindung zwischen ihm und Grace von allen erwartet wurde.
Nein, es gab keinen Grund, der dagegen spräche.
Bis auf die Tatsache, dass er in eine andere Frau verliebt war.
Das Streichquartett intonierte einen weiteren Walzer, die Unterhaltungen wurden leise weitergeführt, und Sebastian atmete erleichtert auf. Eine kleine Gnadenfrist war ihm gegeben worden. Er wandte sich an Grace, um sie um den Tanz zu bitten, doch dann erstarb ihm die Frage auf den Lippen, als er Evan erblickte, der in diesem Moment direkt auf sie zukam. Sein sonst so herzlicher Bruder sah heute blass und angespannt aus, der Blick hinter dem Drahtgestell seiner Brille wirkte unruhig.
„Freut mich, dich zu sehen, Sebastian“, sagte Evan und reichte ihm die Hand. „Frohe Weihnachten.“
„Dir auch.“ Jetzt, da sie nahe voreinanderstanden, spürte Sebastian die Verzweiflung des Bruders noch deutlicher.
Bevor er ihn jedoch fragen konnte, fuhr Evan fort: „Nachher tauschen wir unsere Neuigkeiten aus, wenn du möchtest, zunächst aber ...“ Er wandte sich an Grace: „Ich glaube, dieser Walzer ist mir versprochen.“
Grace warf einen Blick auf die Tanzkarte an ihrem Handgelenk und nickte. „Ja, das stimmt.“
„Darf ich sie dir entführen?“, fragte Evan seinen Bruder.
„Aber natürlich. Genießt euren Tanz.“
Evan streckte den Arm aus, woraufhin Grace reizend errötete und ihre Hand darauflegte. „Addie steht neben der Terrassentür“, bemerkte Evan noch, doch in einem rauen Ton, der Sebastian endgültig davon überzeugte, dass mit seinem Bruder etwas nicht stimmte. „Sie hat noch keinen Partner, falls dir der Sinn nach einem Walzer steht.“ Und so begleitete er Grace zu den übrigen Paaren, die sich bereits auf der Tanzfläche befanden.
Sofort wandte Sebastian sich der hohen Glastür zu, die auf die Terrasse führte. Und da sah er sie. Was nicht besonders schwierig war, da Addie zu ihrem eigenen Kummer so manchen Mann
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