Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
DAS LÄCHELN DER ANDEREN
H ILDEBRANDT: Manchmal wird von dir verlangt, dein Leben zu ändern, nur weil du es schon so oft erzählt hast. Dann kriegst du zu hören: Willst du das jetzt wieder erzählen? Okay, sag ich dann, wenn ihr wollt, erzähle ich eben ein anderes Leben. Zum Beispiel mein Leben als Kulturattaché in – na, sagen wir Nicaragua oder als Säufer in einer Kohlegrube in Oberschlesien, wo ich im Bier, das in den Stollen drang, fast ersoffen wäre.
E NSIKAT: Was soll man denn machen, wenn man nicht langweilen will? Aber auch wenn man sich vornimmt, bei der Wahrheit zu bleiben, steht doch von einem gewissen Alter an fest: Je schlechter das Gedächtnis, desto schöner die Erinnerungen.
H ILDEBRANDT: Das ist ein sehr schöner Satz. Ist der von dir?
E NSIKAT: Ist von mir.
H ILDEBRANDT: Den würde ich gern mal zitieren.
E NSIKAT: Gerne. Der stammt aus meinem Buch »Das schönste am Gedächtnis sind die Lücken«. Das Problem ist ja, man hat nur die eigenen Erinnerungen.
H ILDEBRANDT: Du hast dieses eine Leben nur.
E NSIKAT: Aber da will ich mich doch nicht unbedingt nur an all das Schreckliche erinnern, was ja auch passiert ist, oder an das Unangenehme, wo ich mich eben nicht so verhalten habe, wie ich mich im Nachhinein gern verhalten hätte . Aber das ist natürlich ein rein ostdeutsches Problem.
H ILDEBRANDT: Du lächelst so überlegen. Das musst du mir mal erklären. Zugegeben, ich komme aus Bayern, und mehr Wessi als ein Bayer kann man nicht sein. Aber eigentlich komme ich ja aus einem viel tieferen Osten als du – aus Schlesien. Weißt du, wie die im Westen damals über uns geredet haben in den dreißiger Jahren? Die wussten nicht, dass wir schon elektrisches Licht hatten. Dabei hatten wir sogar WC!
E NSIKAT: 1990 haben uns die im Westen nicht zugetraut, dass wir mit Messer und Gabel essen können.
H ILDEBRANDT: Könnt ihr’s denn?
E NSIKAT: Verachtung geht eigentlich fast immer von Westen nach Osten.
H ILDEBRANDT: Das ist richtig. Ich wollte dich trotzdem mal fragen, woher dieses nachsichtige Lächeln kommt, wenn ich als Wessi in eine Ossigesellschaft komme und da anfange, was über die DDR zu sagen, oder auch nur eine Geschichte erzähle, die sich im Osten abgespielt haben könnte … Die Mienen der Ostkollegen sagen mir dann sofort, dass ich von etwas rede,wovon ich keine Ahnung habe. Aber man sieht mir das ja großmütig lächelnd nach. Da könnte ich treten!
E NSIKAT: Erkennst du mein nachsichtiges Lächeln? Ihr könnt doch nicht wissen, was ihr alles nicht wisst.
H ILDEBRANDT: Darf ich zurücklächeln? Wovon glaubt ihr denn zu wissen? Ihr habt doch gar keine Ahnung. Nicht mal richtig fernsehen konntet ihr!
E NSIKAT: Natürlich konnten wir fernsehen, sogar Ost und West. Ihr hättet das Ostfernsehen ja auch sehen können, habt es aber nie eingeschaltet.
H ILDEBRANDT: Habt ihr’s denn eingeschaltet?
E NSIKAT: Ab und zu. Von Dienstag bis Sonntag haben wir Westen geguckt. Aber montags haben wir aufs Ostfernsehen umgeschaltet, weil da alte Ufa-Filme liefen.
H ILDEBRANDT: Und trotzdem hattet ihr keine Ahnung vom Westen. Oder meinst du, dass im Fernsehen auch nur irgendein Lebenszeichen von uns in echt rübergekommen ist?
E NSIKAT: Doch, doch. Hier und da schon.
H ILDEBRANDT: Keine Spur. Ihr habt doch nur ans Werbefernsehen geglaubt. Ihr wolltet unbedingt die Banane, weil ihr sie aus dem Fernsehen kanntet.
E NSIKAT: Ich ziehe mein überlegenes Lächeln zurück. Wir haben das Werbefernsehen …
H ILDEBRANDT : … ernst genommen.
E NSIKAT: Schlimmer. Wir haben es für die westlicheWirklichkeit gehalten. Und deshalb wollten wir den Westen zu uns rüberholen. Aber als er dann da war, wollte ihn kaum noch einer gewollt haben.
H ILDEBRANDT: Das war das Missverständnis. Und nun werde ich, wenn ich zu euch komme, belächelt, weil ich keine Ahnung habe.
E NSIKAT: Das Lächeln beruht auf Gegenseitigkeit.
H ILDEBRANDT: Ihr habt uns doch völlig missverstanden. Ihr habt gar nicht begriffen, woher wir kommen. Ihr haltet uns noch für die alten Goten …
E NSIKAT: Wir im Kabarett haben ja eigentlich auch von den gegenseitigen Missverständnissen gelebt. Ich gebe zu, schon zu tiefen DDR-Zeiten gemeinsam mit meinem Freund und Kollegen Wolfgang Schaller gelächelt zu haben, wenn du über die DDR gesprochen hast.
H ILDEBRANDT: Warum eigentlich?
E NSIKAT: Weil das, was du uns da erzählt hast, der Wahrheit meist nur nahe kam.
H ILDEBRANDT: Erzählst du mir, wieso es der Wahrheit nur nahe
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