2012 - Folge 1 - Botschaft aus Stein
ein besonderes Stück zudem. Damit in die Fachmedien zu gehen, würde für großes Aufsehen sorgen. Aber wollte er das?
Ericson griff nach der Plastikwasserflasche. Bedächtig nahm er einen ersten Schluck und hielt das schon schal schmeckende Wasser einige Atemzüge lang im Mund, bevor er es hinunterschluckte.
Noch einmal trank er, ebenso langsam und nachdenklich, dann fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Ich muss erst die Hintergründe wissen«, sagte er leise. »Du verbirgst einiges vor mir, mein Junge, und das behagt mir nicht.«
Ein flüchtiger Blick zum Himmel: Die Sonne stand schon ein beachtliches Stück über dem Horizont. Tom griff wieder nach der Machete und setzte den Weg fort. Wandreste ...
Angespannt betrachtete Ericson den Brocken, den er eben aufgehoben hatte. Ohne Zweifel handelte es sich um das Fragment einer Mauer, womöglich gar eines Gebäudes. Viel hatte der Zahn der Zeit davon nicht übrig gelassen.
Das Bruchstück befand sich im letzten Stadium des Verfalls; schon ein leichter Druck genügte, es grobkörnig zerbröseln zu lassen. Eine Schar von Ameisen war plötzlich da. Die Insekten hatten sich in Ritzen verborgen gehalten und reagierten aufgeschreckt. Tom blies sie von seinem Handrücken.
Unter seinen kratzenden Fingern offenbarte sich ein Logogram. Es war nicht vollständig erhalten. Trotzdem glaubte Tom, das Zeichen für Imix zu erkennen, den ersten Tag im Kalender der Maya.
Eine Viertelstunde später hatte er schon zwei weitere Mauerreste entdeckt, die ebenfalls eingemeißelte, halb verwitterte Kalendersymbole trugen. Es waren Darstellungen des Tzolkin, des 260 Tage zählenden Kalenders, der rituellen Zwecken gedient hatte. Ganz im Gegensatz zum Haab, der 365 Tage umfasste und Saat, Ernte und alles, was damit zusammenhing, festlegte. Achtzehn Monate zu jeweils zwanzig Tagen, und das Jahr endete mit fünf namenlosen Tagen, die für jedwede Unternehmung als ungeeignet gegolten hatten. »Urlaubszeit«, hatte einmal eine Studentin behauptet und dafür viel Gelächter geerntet. Tom näherte sich einem von hohem Buschwerk bestandenen Areal. Weit verstreut erhoben sich knorrig alte Bäume. Kleinere Rinnsale plätscherten dahin. Es war ein Vogelparadies, vielleicht auch wegen der Mückenheere, die sich blutrünstig auf den Eindringling stürzten.
Gleich darauf stieß der Archäologe auf einen noch stehenden Mauerrest. Auch hier fand er eingemeißelte Kalendersymbole des Haab. Ericson identifizierte das Zeichen für Yaxkin, den siebten Monat mit der Bedeutung Sol Nuevo, die neue Sonne.
Im immer gleichen Rhythmus wiederholten sich die Namen beider Kalender. Infolge ihrer unterschiedlichen Laufzeit von 260, beziehungsweise 365 Tagen verging jedoch ein wesentlich längerer Zeitraum, bis sich jede bestimmte Kombination zwischen beiden Zählweisen wiederholte. Für einen Moment hielt Ericson inne.
In letzter Zeit gab es so etwas wie einen Aha-Effekt bei immer mehr Menschen. Sobald sie hörten, dass er Archäologe war, bestürmten ihn sogar wildfremde Leute und wollten von ihm hören, was nach dem Ende des Maya-Kalenders geschehen würde. Nicht nur Film und Fernsehen hatten das Thema für sich vereinnahmt, sondern es waren auch einige reißerische Romane dazu erschienen. »In the Courts of the Sun: The Sacrifice Game« von Brian D'Amato war ein solches Werk.
Für Tom war und blieb der 21. Dezember 2012 - das »Ende aller Zeiten« - aber ein Datum wie jedes andere. Viel zu oft hatten Sektengurus und Spinner den Weltuntergang schon vorhergesehen; eingetreten war er nie. Und daran ändert auch der Maya-Kalender nichts, zumal dieses Datum nicht passt.
Tom hatte sich von seinen Gedanken ablenken lassen und für einen Moment nicht mehr bewusst auf die Umgebung geachtet. Ein kurzes scharfes Knacken riss ihn in die Gegenwart zurück.
Instinktiv ließ Ericson sich fallen. Etwas zischte haarscharf über ihn hinweg. Zu schnell, als dass er es hätte erkennen können. Ein Insekt? Aber Insekten zerbrachen nicht, wenn sie gegen eine Mauer prallten. Es war dieses bösartig splitternde Geräusch, das Tom im Nachhinein Gefahr signalisierte. Er verharrte wie zur Salzsäule erstarrt.
Sein letzter Machetenhieb hatte hohe Staudengewächse etwa in halber Höhe gekappt. Die Mauer, die unmittelbar hinter dem Grün zum Vorschein gekommen war, erstreckte sich tiefer ins Dickicht hinein. Sie war nicht einmal mannshoch und von Flechten und rankenden Blütengewächsen überwuchert. Jetzt verdampfte ein
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