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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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Prolog
    Emma hörte die Stimmen zum ersten Mal, als sie ihrer Tochter gerade liebevoll die Bettdecke über die Schultern zog. Leise Silben zogen draußen durch die Nacht und drangen durch das offene Fenster herein, die langen Vokale durchsetzt von den plätschernden Konsonanten des Bachs in dem weitläufigen Garten hinter ihrem Haus. Gelegentlich erklang das helle Auflachen eines jungen Mädchens, wie ein Kontrapunkt zwischen den tieferen Tönen. Dann war es wieder still.
    Sie trat ans Fenster und sah hinaus. Ihr Blick wanderte die Anhöhe hinunter, vorbei am Sandkasten, an der Schaukel und an dem vom Blitzschlag gekrümmten Ahornbaum bis dorthin, wo der Mond seine schimmernden Strahlen ins Wasser tauchte. Und dort sah Emma sie   – drei College-Studenten mit silbrig glänzenden Bierdosen in Händen. Um diese Jahreszeit tauchten sie oft hier auf, so wie Marienkäfer oder Kreuzspinnen. Umherziehende Partygänger, die in der letzten Woche vor dem College-Abschluss aus den Studentenwohnheimen ausschwärmten, um im Mondschein des ländlichen Virginia feuchtfröhlich zu feiern.
    Eine Meile weiter westlich stellte der alte T.   A.   Hillyer den Absolventen jedes Jahr ein Stück seines Ackerlands als Zeltplatz zur Verfügung; eine Tradition, die er eingeführt hatte, als sein eigener Sohn aufs College gegangen war. Hillyer sorgte für mobile Toilettenkabinen, und die Studenten brachten Zelte, Bierfässchen und Gitarren mit und heuerten sogar Country-Bands aus der Gegend an, die die Ausschweifungenunter sternklarem Himmel musikalisch untermalten. Schon am frühen Abend waren Melodiefetzen durch die Blätter von Emmas Pappeln gezogen. Sie hatte auf der vorderen Veranda ihres Hauses gestanden und den Akkorden nachgelauscht, wie sie in gefühlvollen Klangwolken gen Osten auf das Blue-Ridge-Gebirge zuschwebten. Gewöhnlich blieben die Studenten in der Nähe der Musik. Die drei, die sich hier auf ihrem Grundstück herumtrieben, gehörten wohl eher zu den Streunenden, zu den Einzelgängern, die sich lieber auf abgelegenen Wiesen trafen.
    Ich bin selbst schuld, dachte Emma. In jedem Frühling lud sie die älteren Studenten mit Hauptfach englische Literatur zum Abschluss des Studienjahres zu einem Picknick ein und verteilte detaillierte Landkarten, sodass Unmengen fremder junger Leute sehr genau wussten, wo dieses ruhige Wiesengrundstück mit den Stockenten, den blaugrauen Fischreihern und den nebelverhangenen Bergen in der Ferne lag.
    Die Uhr auf dem Nachttisch ihrer Tochter leuchtete: Viertel vor elf. Emma hatte Maggie am Abend länger aufbleiben lassen, weil sie am nächsten Tag keine Schule hatte. Nun drehte sich das Mädchen auf die Seite und murmelte: »Was sind denn das für Stimmen da draußen?«
    »Studenten.« Emma drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Jetzt schlaf schön. Ich schick sie gleich weg.«
    Im Erdgeschoss nahm sie eine Strickjacke vom Haken neben der Tür und trat auf die kühle, mit Schieferstein geflieste Veranda hinaus. Rob besuchte seine Mutter in West Virginia, sonst hätte er sich darum gekümmert, wäre mit schweren Stiefeln hinausgestapft und hätte den Baseballschläger geschwungen, der an der Garderobe lehnte. »Sie nutzen dich aus«, sagte er immer. »Du bist viel zu nett zu ihnen.«
    »Ja«, erwiderte sie jedes Mal. »Ich bin viel zu nett.« Jetzt lief Emma barfuß die Wiese hinunter. Sie spürte den feuchten Klee zwischen den Zehen.
    In den Platanen auf der anderen Seite des Bachs funkeltendie Glühwürmchen. Gleich nach Sonnenuntergang waren sie zu Dutzenden in lautlosen Schwärmen aus dem Gras aufgestiegen, während Maggie ihnen quer durch den Garten hinterherjagte und sie mit hohlen Händen einzufangen versuchte. Maggie sah zu gern, wie die gefangenen Käfer einen Augenblick lang zwischen ihren Fingern herumkrabbelten, dann die Flügel spreizten und unbeeindruckt von der kurzen Unterbrechung ihres nächtlichen Treibens einfach wieder davonflogen. Mittlerweile schwebten die Insekten hoch oben zwischen den Ästen, und Emma vermutete, dass es wohl diese leuchtenden Baumwipfel waren, die die Studenten angezogen hatten   – all die Lichter, die blitzten wie Hunderte von Kameras auf einem Rockkonzert.
    »Hallo«, rief sie, als sie sich dem zum Bachufer hin abflachenden Gelände näherte. Das Gespräch der jungen Leute verstummte, und sie drehten sich nach ihr um. Emma kannte sie   – es waren drei eher mittelmäßige Studenten, die sich im Herbst letzten Jahres durch ihr Überblicksseminar

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