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2012 - Folge 7 - Ein Grab im Dschungel

2012 - Folge 7 - Ein Grab im Dschungel

Titel: 2012 - Folge 7 - Ein Grab im Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei
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dem Fluch, leben zu müssen . Und im Traum immer wieder Todesängste zu erleiden.
    Der Isleif, der schlief, warf sich schweißüberströmt auf dem Schilflager in seiner kleinen, unscheinbaren Behausung hin und her.
    Der Isleif, der träumte, wurde von einer schäumenden Welle übers Deck der Ævintyr gespült, prallte gegen Ruderbänke und Männerbeine und fand endlich, auf halbem Weg zum Heck, Halt an einem rauen Seil, das sich ihm tief in die Handflächen fraß. Er ließ es trotzdem nicht los.
    Derweil schien das Drachenschiff fast senkrecht im Meer zu stehen. Als wäre es tatsächlich ein Drache, der gegen die sturmkochende See kämpfte. Eine Welle hob den Bug des Schiffes hoch und immer höher. Holz knarrte und ächzte. Das zerfetzte Rahsegel peitschte um den Mast. Männer schrien. Isleif hörte seinen Vater Håkon Befehle rufen.
    Er sah einen massigen Schatten, bei dem es sich nur um den dicken Olav handeln konnte, regelrecht vorbeifliegen und in dem wirbelnden Grau verschwinden, zu dem die Welt geworden war. Olav war nicht der Erste und nicht der Letzte der Mannschaft, der über Bord ging, aber er war der Einzige, der dabei keinen Laut von sich gab, und das machte es für Isleif irgendwie noch schlimmer.
    Die Welle rollte unter dem Kiel hinweg und ließ das Schiff los. Einen Moment lang schien es wie erstarrt in der Luft zu hängen, dann schlug es dröhnend aufs Wasser. Isleif hörte, wie Holz brach. Splitterte. Barst.
    »Leck!«, schrie jemand.
    »Mann über Bord!«, ein anderer.
    »Komm her«, keuchte Isleifs Vater neben seinem Ohr.
    Der Junge wollte ihm die Arme um den Hals schlingen. Aber der rotbärtige Wikingerhäuptling schob ihn von sich, hielt ihn aber fest und drängte ihn zur Schiffsmitte hin. Dort zog er das Seil heran, an dem Isleif sich zuvor festgehalten hatte.
    »Ich binde dich am Mast fest«, sagte Håkon, »dann wirst du wenigstens nicht von Bord gerissen.«
    Das Schiff sackte unter dem Gewicht des Wassers, das durch das Leck einströmte, zur Seite wie ein ungleichmäßig beladener Ochsenkarren.
    Håkon band seinen Sohn stumm und eilig fest. Hinter ihm türmte sich eine weitere Riesenwelle, ein schwarzes Maul mit Zähnen aus weißem Schaum. Isleif stierte wie ein vor Angst starres Karnickel hinein.
    Dann stülpte sich dieser Schlund aus eiskalt kochendem Wasser über die Ævintyr , zermalmte sie und verschlang jeden Mann. Nur den Jungen nicht.
    Isleif spürte und hörte, wie das Schiff um ihn herum in Trümmer ging und wie die Trümmer in Trümmer gingen. Erst laut krachend, dann dumpf wie fernes Donnergrollen, als er selbst unter Wasser geriet.
    Die Luft blieb ihm weg, sein Körper zehrte das letzte bisschen aus seinen Lungen auf, dann wurde es erst bunt und schließlich schwarz vor seinen Augen. Er war überzeugt, dass dies der Tod sein müsse. Und diese Überzeugung war so machtvoll, dass eine nie gekannte Ruhe in Isleif aufstieg und er das Gefühl hatte, zutiefst erschöpft einzuschlafen.
    Und dann wachte er auf – im Traum unter blauem Himmel auf dem Sand und Kies eines Strandes liegend, heute und in Wirklichkeit in dunkler Nacht und auf Schilf gebettet.
    Damals hatte ihn das Leben geweckt, dessen letzter Funke in ihm doch nicht ganz erloschen war.
    Jetzt weckte ihn etwas, wofür er ein Gespür entwickelt hatte – die Nähe eines Menschen, der in seiner Dummheit für einen Segen hielt, was ihm, Isleif, zum Fluch geworden war.
    Ein Fluch, der keinen anderen Menschen mehr treffen sollte.
    Dafür lebte Isleif.

    Yucatán, Mexiko, Gegenwart
    Abby kam sich unendlich weit vom Rest der Welt entfernt vor. Zwar waren sie erst eine Stunde vor der Dämmerung wirklich in die Art von Dschungel gelangt, wie man sich einen Dschungel landläufig vorstellte, aber dabei schienen sie auch eine unsichtbare Grenze überquert zu haben, die dieses Fleckchen Erde von allem anderen abkapselte.
    Ringsum raschelte und rauschte, pfiff und gurrte es in der tintigen Finsternis, die wie hineingegossen in den Baumkronen und im Unterholz zu kleben schien. Ab und zu schrie und kreischte auch etwas, ein Affe, ein Vogel. Oder ein unruhiger Geist.
    Abby war nicht zum ersten Mal im Dschungel. Sie schlief auch nicht zum ersten Mal im Dschungel. Nicht nur wegen Tom, den sie oft begleitet hatte; sie war auch in ihrem Beruf als Kryptozoologin weit in der Welt herum und in Gegenden gekommen, in denen es Tiere geben mochte, die bis dato unentdeckt geblieben waren.
    Sie genoss die Nacht im Dschungel heute noch so wie damals. Die

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