Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2012 - Folge 7 - Ein Grab im Dschungel

2012 - Folge 7 - Ein Grab im Dschungel

Titel: 2012 - Folge 7 - Ein Grab im Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei
Vom Netzwerk:
ließ die Hände sinken. Oquendo leuchtete ihm nicht mehr direkt ins Gesicht, dennoch war der Junge gut zu erkennen. Tom schätzte ihn auf fünfzehn Jahre. Seine Haare waren lang und hellblond, fast weiß. Er trug schmutzige Kleidung mit Löchern und Rissen, die ihm mehr schlecht als recht passte.
    Das Sonderbarste an ihm waren jedoch seine Augen.
    Tom konnte nicht sofort benennen, was es war, das ihm daran merkwürdig erschien. Nur eben, dass etwas von ihnen ausging oder darin lag, das er in den Augen anderer Fünfzehnjähriger noch nie wahrgenommen hatte.
    »Wer bist du?« Abigail machte einen Schritt auf den Jungen zu.
    Er bedeutete ihr mit einer Hand, stehen zu bleiben. »Ihr solltet nicht hier sein«, sagte er. Seine Stimme klang rau. Als hätte er lange nicht mehr gesprochen.
    »Ich glaube, du solltest nicht hier sein«, entgegnete der Park-Ranger. »Was hast du hier zu suchen?«
    »Dieser Ort ist gefährlich«, fuhr der Junge fort. Sein Ton hatte etwas Beschwörendes, sein Englisch etwas … Altertümliches, so weit es sich aus den wenigen Worten heraushören ließ. »Gefährlicher, als ihr es euch vorzustellen vermögt.« Er schluckte. »Einerlei, wie schlimm eure Träume sind.«
    »Wovon redest du?«, fragte Tom. Sein Blick und der des Jungen trafen sich, und sie sahen einander tief in die Augen. Tom war es, als würde er in die des Jungen hineingezogen … und als würde dessen Blick gleichzeitig in Toms Augen nach etwas suchen.
    »Du solltest verschwinden«, sagte der Junge schließlich, direkt zu Tom.
    Und dann verschwand er selbst.
    Wie ein fliehender Schatten huschte er aus dem Licht. Sie hörten Wasser platschen, Schwimmgeräusche. Dann, binnen drei, vier Sekunden, kehrte Stille ein und der weißblonde Junge hatte sich wie ein Geist scheinbar in Luft aufgelöst.
    Oquendo war unterdessen beim Boot angelangt und schwenkte den Taschenlampenkegel erst über das Wasser, ohne eine Spur von dem Jungen zu entdecken, dann überprüfte er Boot und Ausrüstung.
    »Scheint nichts zu fehlen oder sabotiert worden zu sein«, sagte er. »Ich bin trotzdem dafür, dass einer von uns Wache hält. Ich übernehme die erste Schicht, einverstanden?«
    Tom nickte. Er hätte gerne über den seltsamen Jungen gesprochen. Aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Sie würden sein Hiersein bei der Polizei melden, wenn sie nach Homestead zurückkehrten. Mehr konnten sie kaum tun, im Moment jedenfalls.
    »Das ist schon verdammt komisch«, meinte Abigail, als sie ein Stück abseits des Feuers in ihre Schlafsäcke krochen.
    »Allerdings«, bestätigte Tom und rief dem Ranger zu, er solle ihn in drei oder vier Stunden wecken, dann werde er ihn ablösen.
    Wider Erwarten fand Tom sogar Schlaf. Noch im Einschlafen fühlte er sich jedoch beobachtet, irgendwo aus der Nacht heraus, von den Augen des Jungen.
    Und nun, an der Schwelle zwischen Wachsein und Schlafen, wurde ihm klar, was ihm an diesen Augen so merkwürdig vorgekommen war.
    Sie waren im Gegensatz zu dem Jungen selbst nicht erst fünfzehn Jahre gewesen. Sondern älter. Viel älter.

    Heute würde Isleif nicht mehr schlafen. Weil der blonde Mann mit den blauen Augen seiner Aufforderung nicht folgen würde – er würde nicht verschwinden, wie er es ihm geraten hatte. Also musste Isleif aufpassen, dass der Mann keine Dummheit beging.
    Und während er dasaß und nichts tat – die Langeweile des ewigen Nichtstuns zählte zu den schlimmsten Begleiterscheinungen des Fluchs –, dachte Isleif daran zurück, wie es angefangen hatte, gar nicht lange nach seinem Erwachen am Ufer des Wassers, das heute »Golf von Mexiko« hieß …
    Er war landeinwärts gegangen, in der Hoffnung, auf andere Menschen zu treffen. Aber wenn es in diesem Land andere Menschen gab, waren sie klüger als er und hielten sich fern von dieser Gegend, weil der Boden hier Menschen fraß.
    Mehrfach war Isleif bis zu den Knien in Sumpflöchern versunken und nur mit Mühe und Not wieder herausgekommen. Aber er entwickelte Übung darin, je öfter es geschah, und schließlich bekam er einen Blick dafür, wo der Erdboden trug und wo nicht.
    Als er dann doch irgendwann Menschen sah, die sich noch geschickter als er durch die Sümpfe bewegten und Tiere fingen, Fische vor allem, ging er nicht zu ihnen hin. Diese Menschen waren ganz anders als die Angehörigen seines Volkes, so fremd in ihrem Gebaren und Aussehen, dass er sogar zweifelte, ob es überhaupt Menschen waren …
    Heute wusste Isleif, dass es archaische

Weitere Kostenlose Bücher