203 - Die Wüstenfalle
auf die Knie und raffte die Stauden und einzelnen Früchte zusammen. »Sie sind reif!« Daa’tan war aufgekratzt. Sein Mentor Grao’sil’aana kroch bäuchlings aus dem Wasser, richtete sich auf und machte Anstalten, seinem Schützling bei der Dattelernte zu helfen.
Ein kleines braunes Etwas schwirrte an Aruula vorbei. Nein, kein Insekt – es war Titana. Sie flatterte zum Teich und drehte ihre Runden dicht über der Wasseroberfläche. Vermutlich flogen dort kleinste Fliegen, die sie jagen wollte. »Her zu Victorius!«, hörte Aruula den schwarzen Prinzen rufen. Prompt schwirrte Titana zurück zum Luftschiff.
»Kommt doch zu mir!«, rief Daa’tan. Er kniete unter der Dattelpalme und raffte die Früchte in seinem Hemd zusammen.
»Bringt eine Kiste oder einen Sack mit! Wir nehmen so viele Datteln mit an Bord wie nur möglich!« Aruula sah, dass sich auch zwischen den Palmen mächtiges Buschwerk erhob.
Stand dort ebenfalls das Wrack eines Panzers?
Aruula wollte zurück zum Luftschiff laufen, doch plötzlich stutzte sie und hob den Kopf. Etwas lag in der Luft. Nicht das Flirren der Hitze, nicht die kleinen Fliegen – etwas Unsichtbares. Wie ein Summen kam es ihr vor. Sie brauchte ein paar Atemzüge lang, bis sie erkannte, dass sie das Summen nicht mit den Ohren, sondern mit dem Hirn wahrnahm; mit ihrem telepathischen Sinn.
Suchend blickte sie sich um: Das Luftschiff, Victorius neben dem Pumpschlauch am Teichufer, das vom Sonnenlicht glitzernde Wasser, die Palmen, die sich im Wind bogen, die Dächer der Gebäude in der Mitte der Oase, Grao’sil’aana und Daa’tan auf den Knien unter der Dattelpalme – alles war unverändert… und doch ganz anders.
Das Summen lag über allem.
Aruula wandte sich nach Süden, sodass weder ihr Sohn und der Daa’mure noch Victorius ihr Gesicht sehen konnten, und schloss die Augen. Auf die Knie zu gehen und den Oberkörper über ihre Schenkel zu beugen wäre zu auffällig gewesen. Einer der drei hätte Verdacht geschöpft. Niemand sollte wissen, dass sie noch lauschen konnte. Und genau das tat sie jetzt: Sie lauschte.
Jemand dachte.
Jemand irgendwo hier in der Oase. Weder Daa’tan, noch Grao’sil’aana oder Victorius; deren Gedankenmuster fühlten sich anders an. Außerdem ertastete Aruula Empfindungen intensiver Furcht. Daa’tan fürchtete sich selten – zu selten nach Aruulas Geschmack. Grao’sil’aana fürchtete sich nie. Und Victorius nur, wenn ihn die Vorstellung überwältigte, Daa’tan und der Daa’mure könnten jemals eine der heimatlichen Wolkenstädte erreichen.
Nein, der sich hier fürchtete, war ein Fremder. Das Summen entstammte einem Geist, den Aruula nicht kannte; einem starken, mächtigen Geist. Neben der Furcht spürte sie noch eine zweite, besonders starke Empfindung: den Wusch zu töten!
Aruula konzentrierte sich und versuchte tiefer in den fremden Geist einzudringen.
»Was stehst du da herum, Mutter!«, rief Daa’tan. »Komm und hilf uns bei der Dattelernte!«
Aruula öffnete die Augen und drehte sich um. »Ich komme!«
Daa’tan war inzwischen am Dattelstamm hinauf geklettert.
Mit den Beinen umklammerte er den Stamm, mit der Linken hielt er sich fest, und mit der Rechten schwang er ein kleines Beil. Damit schlug er die vollen Stauden ab, die noch nicht aus der Krone gefallen waren. »Und bring irgendeinen Behälter mit!«, rief er.
Aruula lief zurück zur PARIS. Jetzt nur nichts anmerken lassen! Jetzt nur nicht ihren größten Trumpf verspielen. Doch wie sollte sie die anderen warnen? Sie musste sie irgendwie warnen, das war klar.
In der Gondel blickte sie sich um, fand eine Decke und nahm sie an sich. »Warten Sie, Mademoiselle Aruula!«, rief Victorius ihr nach, als sie aus der Luftschiffgondel sprang. Sie blieb stehen und sah zu ihm. Am Ufer des Teichs bückte er sich nach seinem Pumpschlauch. »Bleiben Sie in der PARIS, ich bitte Sie!«
»Ich kann auf mich selbst aufpassen, Victorius!« Am Teich entlang lief sie zur Dattelpalme, auf die ihr Sohn geklettert war.
Dort breitete sie die Decke am Boden neben Daa’tans Schwert aus. Gemeinsam mit Grao’sil’aana las sie die Datteln zusammen und häufte sie auf der Decke. Immer wieder blickte sie sich verstohlen um. Innerlich kämpfte sie gegen den Drang, in die Knie zu gehen und den fremden Geist zu belauschen. Er schien allgegenwärtig zu sein.
Oben, unter der Krone der Dattelpalme, schrie auf einmal ihr Sohn auf. »Auuutsch!« Aruula und Grao’sil’aana rissen die Köpfe in den
Weitere Kostenlose Bücher