2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition)
nur unterschiedliche Aspekte der Realität heraus. Ein Paradigma ist auch eine Vereinfachung, die einem hilft, das Rauschen von bedeutsamen Trends zu unterscheiden (definiert selbstverständlich durch das jeweils eigene Paradigma). Es ist allerdings äußerst wichtig zu erkennen, dass das selbstgewählte Paradigma – das normalerweise unausgesprochen bleibt und selten beschrieben wird – eine erstaunlich starke Wirkung hat auf das, was man wahrnimmt. Nehmen wir ein Beispiel. Das Paradigma der konventionellen Makroökonomie geht von der Annahme aus, die Märkte der Welt befänden sich im Gleichgewicht. Deshalb sehen die meisten Ökonomen, wenn sie die Zeitung lesen oder die Straße hinuntergehen, eine Welt im Gleichgewicht. Die Gegner dieses Paradigmas, zum Beispiel die systemdynamische Schule, der ich angehöre, gehen davon aus, dass sich die Welt nicht im Gleichgewicht befindet. In unseren Augen schlingert die Welt von einer Drehung zur nächsten auf einer immerwährenden Suche nach dem nächsten Gleichgewichtszustand, der selbst immer in Bewegung ist.
Man muss sich, darauf kommt es an, der Tatsache bewusst sein, dass man sein eigenes Paradigma hat, eine unausgesprochene Auswahl an Meinungen und Deutungen, die einem helfen, sein eigenes Leben zu führen. Im Idealfall sollte man in der Lage sein, je nachdem, welches Problem ansteht, vom einen Paradigma zum andern zu wechseln. Doch das können die meisten Menschen nicht.
Die heutige westliche Welt hat ein dominierendes Paradigma. Es enthält Grundüberzeugungen wie zum Beispiel »die Effizienz marktbasierter Ökonomien«, »die Fähigkeit der demokratischen Regierungsform zur Selbstkorrektur«, »die Vorzüge stetigen, auf fossilen Brennstoffen basierten Wirtschaftswachstums« und »zunehmender Wohlstand durch freien Handel und Globalisierung«. Beim Versuch, Klarheit über die nächsten 40 Jahre zu gewinnen, ist unbedingt die Möglichkeit eines Wandels im vorherrschenden Paradigma einzubeziehen. Auf jeden Fall sollte man sich nicht auf Analysen einengen lassen, die die Welt nur durch eine einzige Brille sehen, nämlich durch das vorherrschende Paradigma.
Ja, Vereinfachung ist wichtig, wenn man in der heutigen Welt ein glückliches Leben haben will. Wenn man aber 40 Jahre vorausschaut, kommt es darauf an, die richtige Vereinfachung zu wählen. Und man wäre vielleicht eher auf der sicheren Seite, wenn man mehrere davon ausprobiert; dann würde man, so ist zu hoffen, weniger Kinder mit dem Bade ausschütten.
Volldampf voraus, aber den Seelenfrieden wahren
Es ist mir wichtig, am Schluss noch zu betonen, dass dieses Buch auch mit dem Ziel geschrieben wurde, zum Handeln zu ermutigen. Wie bereits gesagt, schreibt man Bücher wie dieses normalerweise gar nicht, weil Autoren, die Verantwortung für die Gesellschaft empfinden, zu Recht in Sorge sind, ihre Arbeit könnte die Motivation zerstören und gegenwärtiges wie zukünftiges Handeln zur Verbesserung der Lage lähmen. Ich stimme dieser allgemeinen Ansicht zu, bin aber trotzdem das Risiko eingegangen, das, was uns bevorsteht, zu beschreiben. Hoffentlich hat meine Prognose die Wirkung eines Gegners, der von außen kommt, und spornt die Menschheit – oder wenigstens einige wenige engagierte Menschen – zum Handeln an. So könnte meine Prognose anstelle der globalen Umweltkatastrophe stehen, die offenbar nicht so plötzlich kommt, wie es nötig wäre, um breite Unterstützung für politisches Handeln auszulösen.
Darf ich an meine endlosen Sorgen erinnern? Und an den Rat der Psychologin, den Schmerz offen zu zeigen und am Ende den Verlust meiner geliebten Urwälder zu akzeptieren? Anstatt mir diffuse Sorgen zu machen, was der Menschheit in den nächsten 40 Jahren alles bevorstehen könnte, verfüge ich nun (mit diesem Buch) über eine Beschreibung dessen, was ich selbst für die wahrscheinlichste Zukunft halte. Ich habe diese Zukunft kennengelernt, Trauer empfunden über das unnötige Leiden, das damit einhergeht, und endlich meinen Frieden damit gemacht, dass eine weltweite Chance vertan wurde. Ich quäle mich weniger. Die Zukunft ist, wie sie ist. Wann immer ich jetzt ein kleines Anzeichen für wachsende Nachhaltigkeit sehe – oder genauer: ein kleines Anzeichen für reduzierte Nicht-Nachhaltigkeit – dann empfinde ich echte Freude anstelle von allgemeiner Trauer über eine Welt, wie sie hätte sein können.
KAPITEL 2
Fünf große Fragen im Blick auf 2052
W ie also wird die Zukunft aussehen? Das einfachste
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