2063 - Zikanders Körper
Selbst seine eigene Situation wurde ihm egal. Er empfand nicht einmal mehr Mitleid mit sich selbst. Er war bereit, es so hinzunehmen, wie es war.
Aber das war alles andere als eine positive Motivation., Er war außerstande, etwas zu empfinden. Vermutlich hatte es dieses Schockerlebnisses bedurft, um reinigend auf ihn zu wirken. Er hatte keine Ziele, keine Wünsche; nicht einmal die Aussicht, als einer von wenigen Auserwählten ein Raumschiff steuern zu dürfen, konnte ihn mehr reizen. Selbst die Flucht in den Tod hatte nichts Erstrebenswertes mehr für ihn.
Ein Wesen ohne Emotionen, ohne Ehrgeiz und ohne Wissensdurst. Ebenso ein Wesen, das seine innere Qual mit einer undurchdringlichen Schutzschicht umgab und sie behütete wie seinen persönlichen Schatz, den er insgeheim fürchtete, aber gleichzeitig als einziges persönliches Gut betrachtete. Irgendwo in diesem Kern blieb er ein Individuum, war er noch Sig-Zikander. Aber das durfte nicht nach außen dringen. Als er irgendwann Dolmor begegnete und dieser ihn fragte, ob er eine Entscheidung getroffen habe, antwortete Sig-Zikander: „Ich möchte in die Dienste der Ritter von Dommrath treten und Legionär werden."
„Das freut mich zu, hören", sagte der Druide erleichtert. „Ich glaube, du bist jetzt reif genug, die volle Wahrheit zu erfahren." Sig-Zikander empfand keine gesteigerte Neugier. Auch nachdem Dolmor das Geheimnis verraten hatte, verursachte ihm das keinerlei besondere Emotionen, weder Enttäuschung noch Freude. Dolmor vertraute ihm nämlich an: „Durch die Metamorphose, die du durchgemacht hast, bist du extrem langlebig geworden, Sig-Zikander. Du hast nun eine Lebenserwartung von Hunderten von Dommjahren, vielleicht auch tausend oder auch mehr ..."
Früher einmal hätte Sig-Zikander die Aussicht, eine halbe Ewigkeit in diesem ungeliebten, ja geradezu verhassten Körper leben zu müssen, endgültig zerbrochen. Aber jetzt empfand er überhaupt nichts.
7.
Sig-Zikanders Ausbildung begann auf einem Legionsschiff, dessen Kommandant Yorommos hieß. Er war zweieinhalb Meter groß, aus der Leibesmitte wuchsen ihm kurze, verkrüppelte Arme mit fladenartigen Händen, die lediglich einen beziehungsweise zwei fingerartige Auswüchse besaßen. Der mächtige verbeulte Schädel saß halslos auf dem Rumpf und konnte nur mit dem Oberkörper bewegt werden. Das Gesicht mit Augen, Nase und Mund war auf Handgröße zusammengeschrumpft und von Wucherungen eingesäumt. Die Stummelbeine wirkten voll funktionsfähig und trugen Yorommos' unförmigen Körper mit beneidens werter Leichtigkeit. Sie steckten in hüfthohen schwarzen Stiefeln, der Körper wurde von einer grauen Kombination verhüllt, wie sie alle Legionäre trugen; auch Sig-Zikander war eine solche angepasst worden. „Ich war mal eine Caranesin", sagte Yorommos zu Sig-Zikander, „jetzt bin ich eine Verdammte wie du. Ich habe mir rüde Umgangsformen angewöhnt, aber wir behandeln einander mit Respekt. Dolmor sagte mir, du hättest deine Todessehnsucht überwunden, Sig. Das ist gut so, denn ich kann Jammerlappen nicht ausstehen. Bekenne dich dazu, dass du ein Squetsch bist, und wir kommen prächtig miteinander aus. Willkommen an Bord der YOS!" Sig-Zikander erfuhr, dass die Legionsschiffe offiziell nur durchnumeriert waren, dass die jeweiligen Kommandanten sie aber nach sich benannten. Die Kommandantin verriet ihm, dass sie keine Beine besaß, sondern Prothesen trug. „Du brauchst mich darum aber nicht zu beneiden, Sig", sagte sie zu ihm, von Anfang an diese Anrede gebrauchend. „Manchmal verursachen mir die Prothesen höllische Schmerzen, so dass ich sie für Tage ablegen und mein Mobil benutzen muss." Sie stellte ihm ihren Stellvertreter vor, der wie ein Fellknäuel ohne Gesicht wirkte, aus dem ein einzelner dürrer Arm und zwei dünne Beine ragten, die von zu weiten Hosenbeinen umflattert wurden; auch die schwarzen Stiefel wirkten um einige Nummern zu groß.
Er hieß Kotin Salimgasi und war Mindandarer. Er war Yorommos einst wie Sig-Zikander zur Einschulung anvertraut worden, nun war er seit vielen Domm ihr Copilot. Aber davon war Sig-Zikander noch weit entfernt. „Die Legionsschiffe sind mit hochwertiger Rittertechnik ausgestattet", erläuterte Yorommos mit gewissem Stolz. „Herkömmliche Technik würde es gar nicht ermöglichen, dass eine einzelne Person ein so gewaltiges Schiff beherrschen könnte. Kotin wird dir alles erklären." Die drei ungleichen Gestalten wirkten in der weitläufigen
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