2169 - Das Lichtvolk
dahinschwinden würde.
Man kann sich daher die Seligkeit der beiden vorstellen, als Panige bemerkte, dass sie noch ein viertes Mal schwanger geworden war. „Diesmal bekommen wir ein Mädchen!", rief sie, in allen Farben strahlend vor Zuversicht. „Diesmal gelingt es, ich bin mir ganz sicher. Und ich weiß auch schon einen Namen für sie: die Lichtgeborene."
Enguarti hatte dagegen nichts einzuwenden. Er widersprach seiner Gemahlin ohnehin fast nie. Wie gesagt, sie waren ein Herz, eine Seele und ein TymcalGeflecht. Aber leider: Paniges Gefühl hatte sie getrogen.
Ihr Wunsch sollte sich nicht erfüllen. Schon die erste vom Hebamm vorgenommene Durchleuchtung ergab, dass auch dieses Kind ein Junge werden würde. In ihrer Verzweiflung konsultierte Panige heimlich die Genetiker von Kaaf, welche in der Stadt Sivquox eine Vertretung unterhielten. Die vierarmigen, zweibeinigen, von Insekten abstammenden Wissenschaftler schlugen ihr nach eingehenden, aufwändigen Untersuchungen eine riskante genetische Manipulation vor, die das Geschlecht des Kindes nachträglich verändern sollte. Dafür verlangten die Kaafyaam einen immens hohen Preis, wegen der zu erwartenden Komplikationen. Immerhin verfügen wir Guyar über eine sehr spezielle Konstitution.
Nun, die Gefährlichkeit des Eingriffs für ihre eigene Gesundheit hätte Panige ebenso wenig abgehalten wie die exorbitante Summe. Gleichwohl schreckte sie letztlich davor zurück. Nicht, dass sie die Glaubwürdigkeit und Kompetenz der Repräsentanten des Genetischen Kaafix angezweifelt hätte. Deren Leistungen auf ihrem Fachgebiet waren im ganzen Thoregon legendär. Nein, im Endeffekt gab, denke ich, Paniges Abscheu vor der patriarchalischen Gesellschaft der Insektoiden den Ausschlag: Einer in ihren Augen derart pervers organisierten Lebensform wollte sie das Schicksal ihres Kindes nicht anvertrauen.
Wie auch immer, sie kehrte niedergeschlagen und unverrichteter Dinge heim in die Goldenen Kuppeln. Enguarti erzählte sie nichts von ihrem Besuch bei den Genetikern von Kaaf.
Zwar hätte Paniges Eheling ihr deswegen sicher keine Vorwürfe gemacht. Das war nicht seine Art. Aber sie wusste, er hätte nächtelang nicht geschlafen vor Sorge, ob nicht bereits die Untersuchungen irgendwelche Schäden verursacht haben könnten. In solchen Dingen reagierte der Gute manchmal ein wenig hysterisch. Freilich war auch Panige erleichtert darüber, dass die weitere Schwangerschaft problemlos verlief. Sie begann das Kind in ihrem Bauch lieb zu gewinnen. Als der Geburtstermin kam, hatte sie sich mehr oder minder damit abgefunden, dass sich ihre Hoffnungen auf eine Nachfolgerin nun wohl nie mehr erfüllen würden.
Was soll's, dachte sie bei sich, während der Hebamm in der Medostation die letzten Vorkehrungen traf. Siv'Kaga braucht nicht nur Vaia'Kataan, sondern auch weniger hoch qualifizierte Kräfte. Vielleicht wird der Kleine ein Sekretär, ein Geflechtpfleger, ein Grundschullehrer oder Kinderkrippner wie sein Vater. Ist doch egal, solange er gesund ist und sich seines Lebens freuen kann. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alle Instrumente optimale Werte anzeigten, leitete Panige die Geburt ein. Diese ging schnell und schmerzlos vonstatten, ganz normal wie immer. Panige genoss das Erlebnis dieses ebenso archaischen wie immer aufs Neue sensatio nellen Vorgangs.
Doch als das Kind dann erschien, wurde sie jäh aus ihrer hormonell induzierten Euphorie gerissen. Die Augen des Hebamms, die zuvor in beruhigend kühlem Hellblau gestrahlt hatten, weiteten sich und glühten dunkel auf vor Schreck. Sein Mund verzog sich zu einer Grimasse, sodass die spitzen, dreieckigen, perlmuttfarbenen Zähne sichtbar wurden.
Vor allem jedoch veränderte sich schlagartig seine Aura. Aufgrund ihrer gesteigerten Parafühligkeit konnte Panige das hyperphysikalische Kraftfeld, das den Hebamm wie jeden Guyar umgab, sehr genau interpretieren. Blankes Entsetzen kam darin zum Ausdruck. „Was ist?" rief sie beklommen. „Was ist mit meinem Kind?"
„Es ... lebt" antwortete der Hebamm stockend. „Aber es ... es leuchtet nicht."
Du wirst die Bestürzung nachvollziehen können, die Panige bei dieser Eröffnung empfand, wenn du Folgendes über uns weißt. Man nennt uns nicht umsonst Guyar, die Leuchter, oder Guyaam, das Lichtvolk. Unsere Körper sind semitransparent und senden Licht in allen Farben des Spektrums aus. Und zwar umso mehr und heller, je höher unsere körperliche oder mentale Aktivität ist.
Zum einen
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