218 - Nefertari
zu übernehmen. Den gerade erwachenden Geist des Babys fortzuwischen war ein Leichtes gewesen.
Nefertari summte vor sich hin. Zwei Mal hatte sie Ramses’ Einladung, ihn auf seinen Kahn ins Nilschilf zu begleiten, bereits ausgeschlagen. Das war nichts als Taktik, denn sie wäre seiner Einladung am liebsten gleich beim ersten Mal nachgekommen. Aber E’fah agierte mit den Schlichen einer seit Jahrhunderten in allen Liebesdingen erfahrenen Frau. Sie würde ihn so heiß wie einen Pavian machen und dafür sorgen, dass er sich nach ihr verzehrte, dass er nie mehr ohne sie sein wollte. Dann war sie am Ziel… Ihre Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit, während sie ihren Körper sorgfältig mit duftenden Essenzen einrieb. Seit vielen hundert Jahren lebte E’fah nun schon unter den Menschen, um ihnen die Lehren des großen, weisen Lehrers Gilam’esh zu bringen. So wie es der Geheime Rat Gilam’esh’gads einst beschlossen hatte. [2] Dabei fand sie nur wenige offene Ohren, denn die Menschen waren von wahrhaft kriegerischer, ja barbarischer Natur, da sie sich lieber die Schädel einschlugen, als irgendwelchen Friedensbotschaften zu lauschen oder gar nach ihnen zu leben.
E’fah, die mit Nefertari bereits den vierzehnten menschlichen Körper besetzte, hatte schon oft am Sinn ihrer Aufgabe gezweifelt, als sie durch die heißen Wüsten und windigen Gebirge Vorderasiens gewandert war und vielleicht einen von Tausend gefunden hatte, der sich wirklich nach Frieden sehnte.
Dass sie noch nicht aufgegeben hatte und nach Gilam’esh’gad zurückgekehrt war, lag an der ungeheuren Lust, die sie erfuhr, wenn sie sich von Menschenmännern beschlafen ließ. Diese wunderbaren Gefühle sah sie als gerechten Lohn für ihre Mühen an, wenn ihre Mission wieder einmal gescheitert war.
Die freudige Erwartung immer neuer Höhepunkte trieb E’fah, es wieder und wieder zu versuchen. Dabei waren ihr die Ergebnisse ihrer Missionierungsversuche längst gleichgültig; sie dienten ihr nur noch als Vorwand, um weiter guten Gewissens unter den Menschen bleiben zu können. Aber das hätte sie sich selbst gegenüber niemals eingestanden.
Nefertari kleidete sich in durchsichtiges, königliches Linnen, das bis zu den Knien reichte und unter dem sie nichts trug.
Das Leben als Mensch barg weitere Vorzüge, deren sich die Hydriten niemals bewusst werden konnten. Zum Beispiel der Genuss, Fleisch und Fisch zu essen, was bei ihrer eigenen Rasse verheerende Folgen hatte und vom Geheimen Rat durch Verbannung geahndet wurde.
Es ist etwas anderes, wenn ich in einem menschlichen Körper Fleisch verzehre, dachte sie. Die Menschen besitzen nicht die hydritische Tandrumdrüse, die für die Ausschüttung von Aggressionshormonen verantwortlich ist und aus Hydriten Monster macht. Als Mensch kann ich keine Jüngerin jenes schrecklichen Ma’ros werden, der vor Urzeiten Fleischverzehr und das Recht des Stärkeren predigte.
Lange hatte E’fah peinlich darauf geachtet, dass sie, wenn sie einen alternden oder erkrankten Körper wechseln musste, als neues Gefäß eine reiche und mächtige Frau wählte. Denn als solche war das menschliche Leben in jeder Hinsicht leichter. Und die Liebe schöner. Dass sie dabei ein erwachsenes Bewusstsein hatte bändigen müssen, war zwar nicht einfach, aber machbar gewesen. Irgendwann kapitulierte die menschliche Mentalsubstanz und verflüchtigte sich auf ewig. Dann beherrscht sie den Körper allein.
Auch diese Praxis, einen gesunden, eigenständigen Geist zu unterdrücken oder gar den eines Kindes auszulöschen, stand im krassen Widerspruch zu Gilam’eshs Lehren. In ihren ersten Jahrhunderten war das noch anders gewesen, als sie kranke oder schwindende Geister von ihrem Leiden erlöst und den sonst nutzlosen Körpern eine weitere Existenz ermöglicht hatte. Aber das war lange her.
Die Überlegung, erstmals in ein Neugeborenes zu wechseln, lag in der Bedeutung Nefertaris begründet. E’fah hatte sich stets geweigert, in die Hülle eines Mannes zu schlüpfen – doch als Hauptfrau eines Pharao konnte sie mit ihm über dieses Volkes herrschen. Diese Aussicht war ihr zwölf, dreizehn Jahre Verzicht auf erotische Abenteuer wert gewesen.
Nefertari setzte sich den Salbkegel auf den Kopf und zog genießerisch den Süßlichen Geruch ein, den er verbreitete. Allerlei Aphrodisiaka waren den Essenzen beigemischt. Sie würden Ramses grunzen lassen wie einen Wasserbüffel. Der künftige Pharao war geradezu verrückt nach ihr, seit er
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