22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
„Siehst du sie?“
„Rettung?“ fragte ich. „Abwarten!“
„Da ist gar nichts abzuwarten! Genommen kann uns nichts werden, denn wir haben ja nichts mehr. Und wer uns nichts Böses tun kann, der muß uns doch Gutes tun. Es sind acht Personen, aber elf Pferde. Wie fangen wir es an, um zwei von den ledigen Tieren zu bekommen? Ich weiß es!“
„Nun, wie?“
„Auf Kredit. Wenn sie hören, wer ich bin, werden sie bereit sein, uns mit zwei Pferden auszuhelfen!“
„Wollen es versuchen. Komm!“
Wir gingen also weiter. Als die Retter dies sahen, setzten auch sie sich wieder in Bewegung. Nach zwei Minuten hielten sie an, und wir standen vor ihnen. Sie waren schwarzhaarige, dunkelgefärbte Männer mit Gesichtszügen, die an Kurdistan gemahnten. Bei derartigen Begegnungen richtet man den ersten Blick auf die Reiter, den zweiten auf die Pferde. Wir sahen, daß wir von diesen Fremden nicht unfreundlich betrachtet wurden. Ihr Pferdematerial war ein mittelmäßiges. Dem entsprachen auch ihre Anzüge und die Waffen, welche sie trugen. Zwei von den ledigen Pferden waren zum Reiten gesattelt. Auf dem Packesel des dritten sahen wir ein in eine alte, schlechte Decke gewickeltes Bündel festgeschnallt. Der Anführer, ein stark gebauter, vollbärtiger Mann, wartete nicht, bis wir ihn begrüßten, sondern er hob seine Rechte bis in die Gegend des Herzens und sagte in höflichem Tone:
„Ni, vro'l ker!“
Das war der gewöhnliche kurdische ‚Guten-Tag-Gruß‘. Er enthielt keine übertriebene Höflichkeit und klang ebenso aufrichtig, wie er einfach war. Das gefiel uns. Wenn wir bedachten, wie wir vor diesen Leuten standen, so war gewiß anzuerkennen, daß ihr Anführer uns den Gruß zuerst gegeben hatte. Wir dankten ihm mit gleicher Höflichkeit; dann nannte er uns, ohne von uns gefragt worden zu sein, aus eigenem Antrieb seinen Namen:
„Ich bin Nafar Ben Schuri, der Scheik der Dinarun. Wir befinden uns auf der Jagd. Unser Lager ist gegen Osten eine Stunde weit von hier.“
Wir sahen, daß er nun unsere Antwort erwarte. Ich ließ es geschehen, daß Halef sie gab. Er tat dies natürlich in der ihm geläufigen Weise, auf welche er grad unter den gegenwärtigen, für uns so mißlichen Umständen am allerwenigsten verzichtet hätte. Was unserer persönlichen Erscheinung mangelte, das mußte unbedingt durch klingende Worte ergänzt werden.
„Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, der Scheik der Haddedihn vom Stamm der Schammar. Ich hoffe, daß dir dieser Name nicht unbekannt ist!“
Es war allerdings, als der Anführer diesen Namen hörte, wie eine Art von Leuchten über sein Gesicht gegangen. Nun antwortete er:
„Ich habe von dir gehört. Einige meiner Leute sind vor mehreren Tagen von Basra heimgekehrt. Sie haben dich gesehen und mir von dir erzählt.“
Das war Wasser auf Halefs Mühle. Er reckte seine kleine Gestalt so hoch wie möglich empor und fiel in stolzem, selbstbewußten Tone ein:
„Von meinen Taten auch? In der Sahara? In Ägypten? In Arabien? In Kurdistan?“
„Alles nicht, aber vieles“, lächelte Nafar Ben Schuri. „Wenn Allah will, werde ich noch mehr von dir selbst erfahren.“
„Er wird es wollen, hoffe ich! Aber sieh hier diesen anderen Mann, meinen Freund und Begleiter, an! Sein Name ist eigentlich noch viel, viel länger als der meinige; aber er liebt es nicht, daß derselbe von Anfang bis zum Ende vorgetragen wird. Darum will ich ihn einstweile nur Kara Ben Nemsi aus Dschermanistan nennen. Was ich erlebt habe, hat er fast alles miterlebt. Ich will dir nur die allerwichtigsten unserer Taten aufzählen, denn wenn ich dir alle nennen wollte, so – – –“
Er hielt mitten in der Rede inne, denn ich hob die Hand auf, um ihm Einhalt zu tun. Grad die sogenannten ‚großen Taten‘ waren es ja, die er mit den buntesten Blumen auszuschmücken pflegte. Den orientalischen Zuhörern konnte seine überschwengliche Ausdrucksweise freilich nicht auffallen, weil sie meist selbst keine andere gewöhnt waren; aber ich liebte sie nicht und suchte sie darum, so oft dies möglich war, in die richtigen Grenzen zurückzuleiten. So auch jetzt. Er gehorchte zwar sogleich, warf mir aber die bedauernde Bemerkung zu:
„Sihdi, winke mir doch nicht immer grad dann zu, wenn ich spreche! Du weißt ja, daß mich das stört! Winkst du mir, wenn ich schweige, so habe ich ja viel mehr Zeit, deinen Wink zu beachten. Das wirst du wohl einsehen!“ Sich hierauf dem
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