22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
hoffe aber, daß ich sie sehr bald wiederbekomme, um die Hiebe, mit denen die edle Haut unseres Pferdes entweiht worden ist, mit Zinsen und wieder Zinseszinsen von diesen Zinsen zurückgeben zu können! Wer ein Pferd schlägt, durch dessen Adern reines Blut und edler Wille fließt, der ist ein Schuft, ein Schurke, ein elender Taugenichts, der die größte Verachtung verdient. Und wenn er gar das Pferd vorher gestohlen hat und mit dem Knüppel also eine Stelle bearbeitet, welche gar nicht sein rechtmäßiges Eigentum ist, so – so – fehlen mir überhaupt die Worte, dir zu erklären, wie unendlich tief der Abgrund der Niederträchtigkeit ist, in dem er diese mir ganz unbegreifliche Tat begangen hat!“
Das war so recht die Gesinnung und die Ausdrucksweise meines kleinen Hadschi. Er stand mit geballten Fäusten vor mir. Seine Augen blitzten, und sein Gesicht zeigte den Ausdruck des höchsten Zorns. Ein Vollblutpferd mit dem Stock zu bestrafen, das ging ihm über alle menschenmöglichen Begriffe. Er riß mir den Ast aus der Hand und fuhr fort:
„Gib ihn mir! Ich sehe den Rücken schon von weitem, auf welchem ich dieses Werkzeug der Missetat vollends zersplittern werde!“
„Sei ruhig, Halef“, fiel ich ein. „Schau hier das Blut! Die Tat ist ja schon gerächt worden, und zwar viel strenger, als du sie rächen könntest.“
„Meinst du? Hm! Ja! Der Haupttäter hat seinen Lohn bekommen. Aber es waren elf andere dabei, welche die Mißhandlungen geduldet haben. Traust du mir etwa zu, daß ich sie begnadige?“
Diese Frage war so ernst gemeint, daß ich über sie lächeln mußte.
„Warum lachst du?“ fragte er. „Willst du etwa meinen Grimm vergrößern? Soll ich nun auch noch auf dich zornig werden?“
„Nein; das wünsche ich nicht, lieber Halef. Aber schaue dich an, und schenke auch mir einen Blick! Wie stehen wir da! Wie sehen wir aus! Worin besteht unser Besitz und unsere Macht? Und da sprichst du von Begnadigung?“
„Warum soll ich das nicht?“ fragte er im Ton des Erstaunens. „Werden wir etwa so, wie wir jetzt aussehen, hier stehenbleiben? Haben wir nicht soeben die Spur derer entdeckt, welche wir suchen? Werden wir ihnen denn nicht alles wieder abnehmen, was sie uns gestohlen haben? Und sind sie dann nicht ganz und gar in unsere Hände gegeben? Oh, Sihdi, von dir habe ich gelernt, an mich und dich zu glauben, und nun bist grad du es selbst, der keinen Glauben hat! Was soll ich von dir denken! Selbst wenn es aus allen anderen Gründen unmöglich wäre, an diesen Schurken Vergeltung zu üben, so ist doch diese eine Untat, unser Pferd geschlagen zu haben, so ungeheuerlich, daß sich das Kismet gezwungen sehen muß, uns diese Kerle auszuliefern! Also zweifle nicht! Ich weiß, was kommen wird. Paß auf, was ich jetzt tue!“
Er schleuderte den Ast weit von sich und fügte dann hinzu:
„So wie ich dieses Werkzeug des Verbrechens wegwerfe, so werde ich alle meine Güte und Gnade von mir werfen, wenn diese Spitzbuben mich um Schonung bitten! Sei so gut und komme mir dann ja nicht mit deiner wohlbekannten ‚Menschenliebe‘, mit welcher du mir schon so manche unbezahlte Rechnung ausgestrichen hast! Ich will und werde mich rächen, und zwar so, wie ich mich noch nie gerächt habe. Jetzt komm! Wir wollen fort von hier! Wir dürfen keine Zeit versäumen, um Gericht zu halten über alle, die uns beraubt, belogen, betrogen und beleidigt haben!“
Wir gingen, um dem Tal zu folgen, in welchem wir uns befanden. Mein Gesicht schien jetzt einen Ausdruck zu haben, der Halef nicht gefiel, denn dieser sah mich, während wir nebeneinander gingen, forschend an und sagte dann:
„Du lächelst abermals und doch ist es kein Lächeln. Du lächelst zwar sehr deutlich, aber innerlich. Habe ich recht?“
„Ja“, nickte ich.
„So sag: Was kommt die spaßhaft vor?“
„Deine Ungnade.“
„Die ist ganz und gar nicht lächerlich. Ich meine doch, daß du mich kennst, Sihdi!“
„Ja, ich kenne dich!“
„Nun? Weiter? Was willst du sagen?“
„Dein Grimm will oft die ganze Welt verschlingen. Dann aber schleicht sich heimlich und leise dein gutes Herz heran, um diese ganze Welt verzeihend zu umarmen!“
„So! Also so stark und so schwach bin ich in deinen Augen?“
„Ja, aber nicht so, wie du es meinst, sondern umgekehrt: schwach im Grimm und stark in deiner Güte.“
„Höre, Sihdi, ich will nicht mit dir streiten. Ich streite ja überhaupt nie mit dir, weil ich dir sonst zeigen müßte, daß du immer
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