22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Glück Vertrauen schenken. Die größte Mißlichkeit unserer Lage bestand darin, daß wir ohne Lebensmittel waren. Aber verhungern konnten wir nicht, denn nur eine Tagesreise von hier gab es am oberen Quran bewohntes Land, wo wir wohl bekommen würden, was uns nötig war. Übrigens trug ich auf der Brust die Brieftasche mit den Geldwerten, welche mich gegen jeden späteren Mangel sicher stellten. Es fiel mir nicht im geringsten ein, gleich von vornherein an unserem Erfolg zu verzweifeln. Wenn Halef munter blieb, konnte sich sehr wohl ein guter Ausgang einstellen. Er behauptete, bereit zu sein, und so traten wir in dem scheinbar hilflosen Zustand, in welchem wir uns befanden, an eine Aufgabe heran, zu deren Lösung mehr, viel mehr gehörte, als uns zur Verfügung stand.
Das Trocknen unserer höchst mangelhaften Anzüge ganz einfach der Sonne überlassend, verließen wir das Wasserbecken und stiegen in der Richtung bergan, in welcher sich die Nomaden entfernt hatten. Es war eine Art Bergsattel, auf dessen anderer Seite sie verschwunden waren. Gebahnte Wege gab es natürlich nicht. Jeder konnte die ihm beliebige Richtung einschlagen; aber es verstand sich ganz von selbst, daß er sich den bequemsten Ab- oder Aufstieg suchte. Wenn das Terrain mehrere bequeme Richtungen bot und es keine Spuren gab, so war es freilich für uns schwer zu bestimmen, wohin die Gesuchten sich gewendet hatten. Das war hier oben der Fall. Gegenüber lagen nackte Höhen, hinter denen im Osten Berge emporstiegen, welche bewaldet oder doch wenigstens mit Gebüsch bestanden zu sein schienen. Es war anzunehmen, daß die von uns Verfolgten dorthin geritten seien. Gerade vor uns ging ein breiter, sanft geneigter Felsenhang hinab, an dessen Fuß drei verschiedene, nach Osten gehende Täler mündeten. Welches von diesen dreien war gewählt worden? Das wußten wir nicht. Jammerschade, daß der Regen jede Spur verwaschen hatte.
Wir stiegen hinab und begannen das Terrain abzusuchen, obgleich wir keine Hoffnung auf Erfolg hatten. Aber das Glück, von dem ich vorhin sprach, was uns günstig. Das mittlere dieser Täler war das breiteste und, wie es schien, bequemste. Darum gingen wir zunächst eine Strecke weit in dasselbe hinein. Da sahen wir den zwei Finger starken Ast eines Strauches liegen. Er war gewiß erst heut früh abgeschnitten und gehörte derselben Buschgattung an, welche oben am Wasser gestanden hatte. Er war an dem einen Ende zersplittert und zwischen diesen Splittern hingen zwei lange schwarze Pferdehaare. Er lag ganz nahe an einem hoch und glatt aufragenden Felsenstück, dessen Vorderseite fast ganz trocken war, weil der Wind den Regen von Süden her gebracht hatte. Es gab da in fast Manneshöhe eine feuchte rote Stelle am Gestein, und unten auf dem Erdboden war ein mehrere Hände großer Flecken geronnenes Blut zu sehen, welches der Regen nicht getroffen und also auch nicht aufgelöst hatte.
„Ob das ein Beweis ist, daß unsere Spitzbuben hier gewesen sind?“ fragte Halef.
„Ja. Und zwar ein sicherer Beweis“, antwortete ich. „Um welches von unseren Pferden es sich handelt, das weiß ich nicht; aber man hat eines von ihnen hierher an den Felsen gedrängt, um es zu zwingen, sich besteigen zu lassen. Es hat sich gewehrt und ist dafür mit diesem Ast gezüchtigt worden. Man hat ihn an dem edlen Tier in Splitter geschlagen und diesem dabei diese Haare aus dem Schwanz gerissen. Aber der Hengst hat die Missetat sofort vergolten und den Betreffenden so getroffen, wahrscheinlich an die Brust, daß aus seiner Lunge ein Bluterguß erfolgt ist. Sie sind also in diesem Tal aufwärts geritten, und wir wissen nun, welche Richtung wir einzuschlagen haben, wenn wir ihnen folgen wollen.“
„Wie? Was?“ fragte Halef zornig. „Unseren Barkh oder unseren Assil Ben Rih geschlagen? Mit diesem Knüppel hier? Das muß hundertfach gerächt werden! Das erste Gebot für uns ist, Allah zu lieben; das zweite ist, die Menschen zu lieben, und das dritte ist, die Tiere und überhaupt alle Geschöpfe zu lieben, welche uns dienen sollen, weil Allah sie uns anvertraut hat. Wer gegen eines dieser drei Gebote handelt, der ist ja gar nicht wert, daß sie ihm gegeben worden sind! Ich will nicht etwa sagen, daß das Schlagen überhaupt verboten sei, denn warum hätte man sonst die Peitsche erfunden, und wozu wäre da ganz besonders auch meine eigene Karbatsch (Peitsche aus Nilpferdhaut) vorhanden, welche in diesem Augenblick allerdings nicht mehr vorhanden ist? Ich
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