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226 - Das Schädeldorf

226 - Das Schädeldorf

Titel: 226 - Das Schädeldorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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keine Wahl! Versteh doch!«
    Thik Gieng schüttelte stumm den Kopf und erhob sich. Lann glaubte, sie wolle weglaufen. Doch sie stand nur da und blickte ihn an. Dabei wirkte seine zierliche Frau noch zerbrechlicher als sonst. Das übliche Strahlen war aus ihrem schönen Gesicht verschwunden. Vertrieben von Schmerz und Trauer. Tränen glitzerten in ihren mandelförmigen Augen. Hilflos hob sie die Hände, als gäbe es irgendwo zwischen Fluss und Himmel die Lösung für ihr Problem.
    »Es wird doch nicht für immer sein!«, rief Lann ihr zu und watete schnell aus dem Wasser. »Tyrannen kommen und gehen, wie Ebbe und Flut.« Er eilte zu ihr und zog sie an seine Brust. »Weine nicht, mein Herz. Weine nicht! Vertraue mir, wir werden wieder zurückkehren!« Seine Stimme klang unsicher bei den letzten Worten. Ließ das, was er vorhatte, überhaupt eine Rückkehr zu? Er wusste es nicht. Wusste nur, dass er die geliebte Frau nicht verlieren wollte. Dass er seine Familie und sich in Sicherheit bringen musste. Und der Schlüssel zum sichersten Ort, den er kannte, lag im Mekong-Delta.
    Während er die schluchzende Thik in den Armen hielt, fiel sein Blick auf seine Hütte. Wie eine kleine Burg ragte sie aus dem Wasser. Kleine Wellen klatschten träge gegen ihr Fundament: vier kräftige Holzpfähle, die sein Zuhause trugen. Ein Zuhause, in dem er acht glückliche Jahre mit seiner Frau verbracht hatte. In dem seine beiden Söhne geboren wurden. Das voll von Erinnerungen und Hoffnungen war.
    Das Leben der Menschen ist wie ein Baum ohne Wurzeln, dachte er bitter und nahm das Gesicht seiner Liebsten in seine Hände. Fast verzweifelt küsste er ihr die Tränen von den Wangen. »Wir müssen jetzt aufbrechen, hörst du.«
    Thik Gieng nickte entschlossen. »Ja, ich bin jetzt bereit.« Hand in Hand verließen sie den Steg. Auf der anderen Seite der Hütte wurden sie schon ungeduldig von ihren Söhnen und Thik Giengs Familie erwartet.
    Während seine Frau sich verabschiedete, holte Lann den Brief aus seiner Tasche, um ihn seinem Schwiegervater zu geben. Der wollte das Schreiben noch an diesem Morgen dem Stadtrat vorlegen, dem er selbst angehörte.
    Der Brief war von Lanns Freund Lib Tek, den er vor sechzehn Jahren in der privaten Regionalschule in Kampong Cham kennen gelernt hatte. Lib Tek lebte dort immer noch als Baumeister und Bildhauer.
    Fliehe, begann sein Brief, fliehe solange du noch kannst. Denn die Angkar sind dabei, die Landesgrenzen zu schließen. Sein Freund berichtete, dass die Bewohner Phnom Penhs umgesiedelt wurden. Die neuen Machthaber selektierten die Städter, um sie entweder in Gefängnisse oder in staatliche Kooperativen zu verschleppen. Wenn sie mit der Hauptstadt fertig sind, nehmen sie sich die Städte am Mekong und Tonle Sap vor, schrieb er. Weiter behauptete er, dass sie es besonders auf das Leben von Intellektuellen und Vietnamesen abgesehen hätten. Angeblich existierten schwarze Listen. Ich weiß das alles aus sicherer Quelle, die ich dir in diesem Brief nicht nennen will. Aber vertraue mir!
    Lann Than vertraute in allererster Linie seinem Instinkt. Dieser Instinkt sagte ihm, dass Lib Teks Schilderungen keineswegs übertrieben waren. Sie bestätigten den Argwohn, der Lann täglich erfüllte, wenn er der plärrenden Rundfunkstimme lauschte. Er war sich sicher: Mit der Angkar war das Böse in Kambodscha erwacht. Wer auch immer sie waren, sie würden nicht davor zurückschrecken, das Blut ihrer eigenen Leute zu trinken.
    ***
    Der kleine Außenbordmotor von Lann Thans Boot machte zwölf Kilometer pro Stunde. Es war Mittag, als sie die erste große Flussbiegung erreichten: Von hier aus wand sich der Mekong etwa hundert Kilometer ins Landesinnere, um dann nach einer erneuten Biegung wieder nach Süden zu fließen. Von dort waren es noch einmal vier Stunden bis Kampong Cham. Der Maler hatte seinen Söhnen den Weg auf einen Zettel gezeichnet.
    »Wenn wir in Kampong Cham sind, können wir dann mit den Kindern von Onkel Lib spielen?«, fragte der Siebenjährige.
    »Es wird Nacht sein, wenn wir dort ankommen, Kija. Erst mal wird geschlafen. Und am nächsten Morgen machen wir dann einen Ausflug in den Dschungel. In einem großen Auto.« Lann strich seinen Kindern über ihr dichtes Haar. Dass die Kleinen lange Zeit nicht mehr mit anderen Kindern würden spielen können, verschwieg er ihnen. Auch dass hinter dem Dschungel das Niemandsland lag, verriet er ihnen nicht: der menschenleere Gebietsstreifen zwischen Kambodscha und

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