226 - Das Schädeldorf
richtigen Zeit und am richtigen Ort fügen würde.
Ja, das würde es! Der blonde Mann aus der Vergangenheit wandte sich lächelnd dem Bug des Schiffes zu. So ist es bis jetzt immer gewesen, dachte er. Dabei heftete sich der Blick seiner blauen Augen auf den Rücken der Frau, die auf dem Kajütenaufbau am Ruder stand: Aruula! Noch vor wenigen Monaten hatte er die Hoffnung fast aufgegeben, seine Geliebte jemals lebend wieder zu sehen. Doch zu einem Zeitpunkt und an einem Ort, den er selbst freiwillig nie gewählt hätte, hatte er sie endlich wieder gefunden. Die schöne Barbarin von den dreizehn Inseln.
Immer noch schien ihm ihre Anwesenheit wie ein Traum. Aber sie war Wirklichkeit und nur wenige Schritte von ihm entfernt: Nackt bis auf einen Lendenschurz und ein ledernes Bustier lenkte sie die Yacht. Auf ihrer bronzefarbenen Haut schimmerten die mit einer Art Henna aufgetragenen rituellen Zeichnungen. Sie erinnerte Matt an eine Göttin. Eine Göttin, die aus himmlischen Gefilden herabgestiegen war.
Dabei war er vom Himmel gekommen, als Aruula ihn vor achteinhalb Jahren halbtot in einem Schneefeld in den Alpen fand. Damals hatte die Barbarin ihn für einen Gott gehalten, der mit einem silbernen Göttervogel aus dem Himmel gestürzt war. Tatsächlich aber war Commander Matthew Drax durch eine Verzerrung im Raum-Zeit-Gefüge, ausgelöst durch einen Zeitstrahl, der vom Mars auf die Erde zielte, aus dem Jahr 2012 mit seinem Düsenjet in das Jahr 2516 geschleudert worden – und irgendwo über den südlichen Alpen abgestürzt. Mehr oder weniger direkt vor Aruulas Füße. Als er mit schwerer Zunge seinen Namen nannte – Matt Drax – hatte sie ihm jenen gegeben, unter dem er seither in dieser postapokalyptischen Welt bekannt war: Maddrax. Bei diesem Gedanken musste Matt lachen.
Überrascht wandte Aruula den Kopf. Ein fragender Ausdruck lag in ihren braunen Augen.
Gott, wie er dieses Gesicht vermisst hatte. Matt eilte zu ihr. In ihrem Rücken blieb er stehen und umschlang ihre Schultern. Zärtlich küsste er ihren Nacken. »Ich bin glücklich, dass du bei mir bist«, sagte er leise.
Aruula lehnte den Kopf an seine Brust. Sie griff nach seiner Hand und legte sie sich auf ihr Herz. Schweigend standen sie am Bug des Schiffes – bis ein Rumpeln unter ihren Füßen sie aus der friedlichen Eintracht riss. Matt löste sich von seiner Liebsten und schaute neugierig über den Rand des Kajütenaufbaus.
Er sah Yann Haggard an Deck stürzen. Sein Kopf bewegte sich panisch hin und her, als würde er nach etwas Bedrohlichem Ausschau halten. Jetzt wankte er zum Segelmast und verharrte dort einige Augenblicke. Schließlich hatte er wohl gefunden, wonach er gesucht hatte: Langsam aber entschlossen näherte er sich der Reling an Steuerbord. Dort blieb er wie festgenagelt stehen. Seine dürren Finger umklammerten die Eisenstreben, dass die Handknöchel weiß hervortraten. Matt hörte ihn fluchen.
»Was ist los?« Drax sprang vom Kajütenaufbau und rannte zu dem Alten. Yann Haggard antwortete nicht. Er hatte sein gesundes Auge geschlossen. Mit dem blinden stierte er aufs Meer hinaus. Matt tat es ihm nach: Wasser, so weit das Auge reichte. Am östlichen Horizont trennte nur eine schmale hellblaue Linie Himmel und Meer. In der Nähe des Schiffes tummelte sich eine Schar möwenartiger Vögel. Vermutlich hatten sie ihr Frühstück ausgespäht. Sonst war nichts zu sehen.
Der Mann aus der Vergangenheit wandte sie wieder Haggard zu. Ein hochkonzentrierter Ausdruck lag auf dessen Gesicht. Von seinem sonst trüben Auge ging ein seltsamer Glanz aus, und der Brustkorb seines hageren Körpers hob und senkte sich regelmäßig. Matt kannte Yann inzwischen gut genug, um zu erkennen, dass sich der Einäugige in einen Zustand versetzt hatte, in dem er Dinge wahrnahm, die ein Normalsterblicher weder sehen, noch hören konnte.
Darum bedrängte er ihn nicht weiter mit Fragen, sondern lehnte sich abwartend über die Reling. Wenn der Zeitpunkt gekommen war, würde Yann ihm schon sagen, was er da draußen entdeckt hatte. Und der Zeitpunkt kam schneller als erwartet.
»Es kommt von Osten. Gewaltig und vernichtend«, flüsterte der Energieseher heiser. »Und es kommt schnell.« Der Alte trat einige Schritte zurück. »Unglaublich schnell!«, rief er. »Ich bin mir nicht sicher, ob wir es rechtzeitig an Land schaffen werden.«
»Was ist es?«, fragte Matt, der noch immer nichts erkennen konnte, alarmiert.
»Vermutlich ein Taifun. Vielleicht auch ein
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