228 - Crows Schatten
weil er den Beutel nicht ertastete.
»Dann wollen wir den ersten Prototyp unseres ›Neuen Systems‹ mal testen, Gentlemen!« Crow löste den obersten Knopf seiner Jacke und machte es sich bequem in seinem Sessel. Wieder klopfte er von Kotter auf die Schulter. »Ihr Auftritt, Oberst!«
Von Kotter atmete tief durch, beugte sich vor und berührte ein großes, blau leuchtendes Tastfeld der Schaltkonsole. Danach trat einen Augenblick vollkommener Stille ein, und alle vier Männer hielten den Atem an. Laurenzo kaute auf seiner Unterlippe herum, Hagenau saß noch eine Spur steifer auf der Kante seines Sessels, von Kotter wirkte noch eine Spur blasser, und für den Bruchteil einer Sekunde schien das gut gelaunte Lächeln in Arthurs Crows Gesichtszügen zu gefrieren.
Dann aber begannen farbige Kontrollleuchten auf der Konsole zu glühen und der große Monitor über der Konsole flammte auf. Man sah Marktstände, Händler und Käufer, man sah einen dieser frommen, schwarz gekleideten Männer, und im Hintergrund das Capitol von Waashton.
Hagenau sank tief in seinen Sessel und seufzte laut. Von Kotter sprang auf und rief: »Wir sind drin! Wir sind tatsächlich drin!«
»Na also, Gentlemen!« Arthur Crow schnitt eine zufriedene Miene. »Wer sagt’s denn? Es klappt doch!«
»Yessir!« Der alte Laurenzo kicherte wie ein kleiner Junge und das gesamte Kabinett applaudierte.
***
Waashton, Anfang September 2524
Der Mann hatte einen vollkommen kahlen Schädel und trug eine Art grauen Overall mit vielen Taschen. Er mochte dreißig oder vierzig Jahre alt sein; vielleicht auch jünger, ein Glatzkopf ließ Menschen älter wirken. Nur zwei oder drei Sekunden lang sah Rev’rend Clash ihn diesmal; vielleicht dreihundert Meter entfernt, nicht weit von der Treppe zum Capitol. Dann tauchte er in der Menge auf dem Marktplatz unter.
Der Mann war fremd in der Stadt, so viel war klar. Er war Rev’rend Clash schon am frühen Morgen in der Nähe des Nordtors aufgefallen. Ohne Eile war er da an den Fassaden entlang geschlendert und hatte dabei mit einem Kästchen gespielt, das er im Schlendern in der Linken hielt. Der Predigt aus den Lautsprechern der Gottesstaat-Enklave hatte er nicht zugehört.
Rev’rend Clash spähte über die Menge hinweg, doch der Fremde blieb verschwunden. Schade. Der bärtige Gottesmann wandte sich wieder den Marktständen zu.
Wie meistens verkauften sie eine Menge Waffen auf dem Markt – Messer, alte Faustfeuerwaffen, Steinschleudern und natürlich unzählige Schwerter. Doch selbstverständlich gab es auch Lebensmittel und Kleidung.
Rev’rend Clash schritt an den Verkaufsständen vorbei, prüfte die Ware und beobachtete Händler und Käufer. Rev’rend Rage, der Erzbischof, hatte die »Woche der Ehrlichkeit« ausgerufen, und Rev’rend Clash, der frisch gebackene Gottesmann, hatte zu überprüfen, ob es auch wirklich ehrlich zuging auf dem Markt von Waashton.
Clash hatte bis jetzt keinen Anlass zur Klage gefunden. Die Leute grüßten ihn respektvoll, fast ein wenig scheu, und niemand versuchte den anderen zu betrügen. Und wer keine Kunden hatte, lauschte andächtig dem Lobgesang aus den Turmlautsprechern. Rev’rend Clash pries im Stillen den HERRN.
Genau sieben große Lautsprecher beschallten von Dächern und Türmen aus die Residenz der Rev’rends, ihre Umgebung und weite Teile der Stadt. Der kleinere Teil des Markplatzes gehörte zum Hoheitsgebietes Waashicans, also zur Gottesstaat-Enklave Waashtons, in der allein der Erzbischof und die Rev’rends alle legislative und exekutive Gewalt ausübten.
Mit anderen Worten: Sie allein machten dort die Regeln und sorgten dafür, dass diese eingehalten wurden. So einfach war das.
Und doch so kompliziert, denn leider war das Hoheitsgebiet der Rev’rends nicht sehr groß. Es war sogar beschämend klein, wie Rev’rend Clash fand. Nur vierhundert Meter rund um das Fordtheater erstreckte es sich! Mehr als die Hälfte des Marktes zum Beispiel gehörte zum Hoheitsgebiet der WCA (World Council Agency; Weltrat) , wie sich die gottlose Regierung Waashtons nannte.
Rev’rend Clash seufzte, während er daran dachte. Er wandte sich um, blickte zum Capitol, wo jener Black und die anderen Gottlosen regierten, und flehte innerlich zum HERRN, diesem unwürdigen Zustand bald ein Ende zu machen und endlich die gesamte Stadt zu erlösen.
Nach dieser kleinen Privatandacht schlenderte er weiter an den Ständen entlang, erwiderte Grüße nach links und nach rechts und sah den
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