2290 - Daellians Kampf
Gon-Orbhon genommen. Die Narben der Operation waren längst verheilt, aber nicht die Scham und die Verzweiflung.
Die Gottheit hatte ihr Verstand, Denken und Willen geraubt. Hatte sie zu einem Wesen ohne eigene Stimme degradiert; zu einem Werkzeug, das die letzten Monate wie einen schlechten Traum miterlebt hatte.
Ein neuerlicher tastender Griff, diesmal über den Kopf. Das PsIso-Netz - es war da, und es war unbeschädigt.
Würde es denn nie aufhören?
Ein Unbekannter hatte sich ihr genähert und das fein gewobene Netz, das sie vor Gon-Orbhons Blick schützen sollte, zerstört.
Warum? Wieso? War es tatsächlich -wie vermutet wurde - die Mascantin Ascari da Vivo gewesen, und was bezweckte sie damit? „Wie geht es dir?"
Bre Tsinga schreckte hoch und blickte sich um. Das farblose Blickfeld - ein weißes Krankenbett in einem weiß gehaltenen Raum - wurde vom merkwürdigen Behältnis Malcolm S. Daellians durchbrochen. Wie lang schwebte er schon bei ihr im Raum? „Ich fühle mich gut", antwortete sie möglichst ruhig. „Warum weinst du dann?"
Sie weinte? Irritiert strich die Sabinnerin mit den Fingern die Falten ihrer Wangengrübchen entlang - und fühlte die Nässe. „Du bist verkrampft", schnarrte die metallene Stimme. „Du zitterst. Dein Puls ist in der letzten halben Stunde rasant angestiegen. Dein Herz schlägt wie rasend." Kurz hielt Daellian inne, fuhr dann fort: „Warum? Du solltest dankbar sein, dass du lebst."
Der Mann in seiner Urne bohrte und wühlte, wollte Antworten wissen, zu denen sie noch nicht einmal die Fragen kannte. Bre fühlte sich hilflos und verlassen, und in diesen Momenten hasste sie dieses erbarmungslose Stück Menschenrest. Sie, eine der qualifiziertesten Kosmopsychologinnen, wurde mit ihrer eigenen Situation einfach nicht fertig! „Auch wenn du glaubst, es zu verstehen: Das tust du nicht", antwortete sie möglichst ruhig und schloss die Augen.
Sie musste nachdenken, sich über einiges klar werden. Denn es war nicht nur die gedankliche Geiselhaft durch Gon-Orbhon allein, die ihre psychischen Schmerzen erklären konnte.
Vor 29 Jahren: Sie hatte die Übernahme des Zentralplasmas durch SEELENQUELL nicht verhindern können. Im Gegenteil. Ihre naive Sicht der Dinge hatte es erst ermöglicht, dass Posbi-Raumer über das Sol-System hergefallen waren.
Vor 23 Jahren: Auf Merkur war Ava Kattum an ihrer Seite gestorben. Obwohl sie all ihre Intelligenz und Erfahrung aufgeboten hatte, um hinter Trah Rogues Schlichen zu kommen.
Vor 22 Jahren: Ihr geliebter Husslar Jafko hatte sie beinahe zerfleischt, ihr Heimatplanet Sabinn war in Schutt und Asche gelegt worden. So hatte sie es zumindest in der Eingebung eines Rudimentsoldaten Trah Rogues gesehen und gespürt, und so war es auch heute noch in ihren Erinnerungen verankert.
Knüppeldick war es gekommen, ein Erlebnis belastender und traumatischer als das vorherige.
Bre, dem Wahnsinn nahe, hatte niemandem ihre Gefühlswelt offenbaren können. Schließlich war sie eine Person des öffentlichen Lebens, die Xenopsychologin der LFT seit der „Entsorgung" der Mutter aller Kriege, Goedda. Wenn sie mit dem Leben in diesen schwierigen Zeiten nicht zurechtkam - wer sollte es dann schaffen?
In den Jahren danach war endlich Ruhe in ihrem Leben eingekehrt. Bre Tsinga hatte sich wieder ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten als Kosmopsychologin besonnen. Die kurze Ehe mit Tom Clancy, den sie bereits 1289 NGZ an Bord des Raumers FARGO kennen gelernt hatte, und die Geburt der beiden Kinder Gaur und Biophat hatten für Höhepunkte einer sonst ereignislosen Epoche ihres Lebens gesorgt.
Und nun das ...
Daellian durchbrach ihre Nachdenklichkeit. „Ich könnte dich brauchen", sagte er. „Mich?" Sie öffnete die Augen. „Deine Erfahrung. Deine Sichtweise. Deine Talente." /Er zögerte. „Ich bin kein Bully, der mit seiner kumpelhaften Art eine derartige Ansammlung von Individuen um sich sammeln, steuern und auf ein Ziel ausrichten kann. Das ging in der Waringer-Akademie, in der uns die Wiederaufbau-Arbeit, die Wissenschaft und die Suche nach der Wahrheit leiteten. Aber hier, auf der RICHARD BURTON, scheint jeder in eine andere Richtung zu ziehen. Soldaten, Techniker, Forscher, Analytiker ..."
„Du bist überfordert", unterbrach ihn Bre Tsinga messerscharf. „Ich könnte Hilfe brauchen", wiederholte der Wissenschaftler.
In seinen Worten klang etwas Neues und Interessantes mit, was sie bislang noch nicht festgestellt hatte. Sie spürte, dass sich eine
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