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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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deutlicher, als ich es geben möchte. Ich bitte dich, dein Pferd nun abzuwenden!“
    „Ich habe es getan. Ich ritt davon, mit offenem Auge in dieses vielgerühmte Himmelreich hinein. Fragst du mich vielleicht, wie lange es dauerte, bis ich es kennen gelernt hatte? Ein ganzes, ganzes Menschenelend lang! Soll ich beschreiben, was ich sah, was ich entdeckte. Wer kann Unbeschreibliches beschreiben! Schon gleich am ersten Tag blieb ich nicht allein. Der Menschheitsjammer kam zu mir und weinte mir aus tiefen Augenhöhlen zu. Er hat mich nicht verlassen bis zum letzten Schritt. Das Erdenweh gesellte sich zu mir. Es kroch zu mir aufs Pferd und schlang die Arme fest um meine Hüften. Des Lebens Elend faßte meinen Bügel und schleppte sich an meiner Seite weiter. Es kam die Not gerannt und griff in die Kandare, um mich in meiner Richtung zu beirren. Wenn sich die Dämmerung senkte, tanzten die Schatten des Verbrechens vor mir her, und in der stillen Nacht begannen Schuld und Strafe hinter mir zu heulen. Ich ritt wochenlang durch Trümmerstätten, in denen mich der hohnlachende Menschenwahn als Gespenst der Vernichtung begrüßte. Ich kam über schier endlose Gräberfelder, aus deren Höhlen das irre Gekicher der Unduldsamkeit schrillte. Ich sah Tempelruinen, in denen der Unverstand im tiefsten Stumpfsinn hockte. Um die zerbrochenen Säulen einstiger Heiligtümer schlug die Narrheit ihre widerlichen Kapriolen. An ausgetrockneten Quellen träumte die Gleichgültigkeit in Lumpen, die ihre Blöße kaum bedecken konnten. Die Scheinheiligkeit andächtelte vor eingestürzten Kapellen, für deren Erhaltung sie keine Hand gerührt hatte. Zuweilen tauchte am Horizonte einer jener Reiter auf, welche Einlaßkarten besessen hatten; aber sein Tier wendete sich sofort zur Flucht, sobald es sah, daß ich kein Kamel und keinen Esel ritt. Und wenn sich irgendwo noch ein anderes Wesen in diesem starren Himmelreich zeigte, so hatte ich entweder einen listigen Fennek (Wüstenfuchs) gesehen, der mit Lammesaugenaufschlag schnell verschwand, oder es war ein freßgieriger Dibb (Hyäne), welcher mit eingezogenem Schwanz und heuchlerisch gesenktem Kopf von weitem an mir vorüberschlich.“
    Hier ließ der Ustad eine weitere Pause eintreten. Ich war ihm mit großem Interesse gefolgt. Nun fühlte ich eine Lücke in seiner Darstellung. Darum fragte ich:
    „Aber alle die Unzähligen, welche Einlaß bekommen haben? Sie können dir doch nicht so einzeln erschienen und gleich wieder verschwunden sein!“
    „Nein“, antwortete er. „Ich kann sie dir leider nicht ersparen. Meinst du vielleicht, dieses Paradies sei von einer himmlisch friedfertigen, sich gegenseitig liebenden und stützenden Bevölkerung bewohnt? Glaubst du, dort einen Hirten und eine Herde zu finden? Ich kenne so gut wie du das verheißende Wort: ‚Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das wird von Gott bereitet denen, die ihn lieben.‘ Welche unbeschreiblichen Glückseligkeiten aber waren es, welche ich zu sehen und zu hören bekam? Höre und staune! Hast du schon einmal vernommen, daß es unter den wilden Tieren welche gibt, die sich von ihresgleichen zurückgezogen haben und sie so grimmig hassen, daß sie jedes, welches in ihren Bereich kommt, sofort zerreißen oder sonst vernichten?“
    „Ja. Dies ist besonders bei den Elefanten, Nashörnern, Löwen, Tigern und andern Raubtieren der Fall. Man pflegt solche Exemplare ‚Einsiedler‘ zu nennen.“
    „Nun, so wisse, daß es in diesem Himmel keine andern Bewohner als nur solche ‚Exemplare‘ gibt! Sie wohnen nicht zusammen, sondern als Einsiedler, weil keiner dem andern traut. Jeder ist an einer besonderen Kluft oder Höhle von seinem Esel oder Kamele gestiegen. Dort wohnt er nun und verteidigt sie bis auf das Blut gegen jeden, der nicht seiner Meinung über den Himmel ist. Da es aber der Meinungen so viele und so verschiedene gibt, wie Individuen vorhanden sind, so herrscht zwischen ihnen allen eine Feindseligkeit, vor welcher wir selbst im Erdenleben erzittern würden. Jede Kluft und jede Höhle ist ein Götzentempel, in welcher der Bewohner sich selbst als seinen eigenen Fetisch verehrt. Er behauptet zwar, Gott anzubeten, zwingt aber diesem Gott seine eigenen Gedanken auf und setzt sich also über ihn. Die Folge dieser Selbstvergötterung ist, daß sich keiner dieser Götter an den andern wagt, weil er sonst von ihm herausgebissen wird. Das, Effendi, das ist dieser Himmel! Über

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