2306 - Die Kristallbörse
der Kämpfenden und der Schaulustigen hindurch das Summen, das er ziemlich gut kannte – leider zu gut.
In der nächsten Sekunde verlor er das Gefühl für seinen Körper. Er spürte nicht mehr, wie er fiel und aufschlug.
Er hörte auch nichts mehr. Plötzlich war da nur noch Stille; kein Lärm, keine Schreie, kein Kampf.
Nur denken konnte er noch. Sehr glücklich war er darüber allerdings nicht.
3.
Der Kämmerer
Amanda van Veer war einsachtzig groß, brünett mit hellen Strähnchen, vollbusig und langbeinig. Mit anderen Worten: Die Terranerin hatte eine tolle Figur und sah auch für ihr in den ID-Chips angegebenes Alter von 57 Jahren verdammt gut aus. Wer nicht gerade mit der Lupe hinsah, nahm ihr diese 57 Jahre auch gern ab. Selbst dafür hatte sie sich wacker gehalten. Wer sich allerdings die Mühe machte und genauer hinschaute, schätzte sie vielleicht auf hundert. Aber wer ganz genau hinguckte, erkannte die winzigen Narben und Zeichen für ihre weit über tausend kosmetischen Eingriffe und kam ihrem tatsächlichen Alter von 187 Lenzen wahrscheinlich noch näher.
Schönheitschirurgisch behandelt war sie auch nicht nur im Gesicht, sondern überall. Es gab keine zusammenhängenden zehn Zentimeter an ihrem Körper, an denen nicht irgendein Mediker bereits den Laser angesetzt hatte. Amanda konnte es sich leisten.
Sie war eine der tausend reichsten Terranerinnen. Dass ihr Vermögen sich in erster Linie aus sieben Erbschaften und acht Scheidungen zusammensetzte, störte sie nicht. Der nächste Ehemann wartete bereits auf Myrandel II. Der Ehevertrag war aufgesetzt, mit allen wesentlichen Klauseln, die garantierten, dass sie so schnell nicht arm werden würde. Was noch kam, war reine und gewohnte Routine.
Aber die sechs Wochen, bis es so weit war, wollte sie in vollen Zügen genießen. Und so tat sie das, was sie am zweitbesten konnte: Sie spielte.
Es war das erste Mal, dass Amanda sich an Bord von LEprachtvoll aufhielt. Bisher hatte sie ihre Milliarden auf der BASIS vermehrt oder verpokert, im Orbit um Stiftermann-III.
Doch die BASIS hatte begonnen, sie anzuöden, sie war ... so „bourgeois" geworden, fand sie und umschrieb damit nur, dass man ihre Tricks dort mittlerweile kannte. LEprachtvoll war für sie neu, erst noch zu eroberndes Terrain. Niemand verband mit ihrem Namen irgendwelche Vorkommnisse, und so sollte der Überraschungseffekt auf ihrer Seite sein – hoffte sie jedenfalls.
Und außerdem gab es neue Leute kennen zu lernen. Wer konnte schon wissen, wie lange ihre Ehe mit Dober C. Ellayor Bestand haben würde, dem Industriekapitän und heimlichen Herrscher von Myrandel II? Dober war sagenhafte 249 Jahre alt, die man ihm auch ansah. Und irgendwann würde es keine neuen Organe mehr geben, um die alten, verbrauchten zu ersetzen.
Schließlich und endlich übte der Reiz des doch etwas Anrüchigen seine Faszination aus, der die Sektion Spielbetrieb von LEprachtvoll umgab.
Wenn es so weiterginge mit dem galaxisweiten Run auf Hyperkristalle, war es gut vorstellbar, dass die Kasinos irgendwann ganz schlossen. Und wenn nur ein Teil von dem stimmte, was man sich in ihren Kreisen über den geheimnisvollen Kämmerer erzählte, dann sollte es sich allemal lohnen, diesen Mann kennen zu lernen.
Vielleicht war er einmal interessant für sie, spätestens in etwa ... zwei, drei oder vier Jahren.
Amanda van Veer lächelte ihre drei Mitspieler mit betörendem Aufschlag der falschen Wimpern an, als sie die Karten mischte und nach dem Einsatz fragte.
Sie hatte es im Gefühl. Dies war ein guter Tag für sie. Es war einfach so.
Und wenn sie im Spiel verlor – nun, es gab immer noch andere Möglichkeiten, ganz besonders an einem Ort wie diesem. Hier gab es mehr als einen Schatz zu heben.
Amanda van Veer war keine Närrin.
Sie kam niemals allein. Nirgendwohin.
*
Wer LEprachtvoll kannte, der hatte auch vom „Kämmerer" gehört. Seit der Wiedereröffnung der Plattform nach der Übernahme durch die Organisation Taxit war diese geheimnisvolle Gestalt die oberste Instanz in der Kristallbörse und sorgte mit ihrer Börsen-Garde mit eiserner Hand für Ruhe und Ordnung. Wer dieser Mann war, das wusste niemand, was dazu geführt hatte, dass sich die abenteuerlichsten Gerüchte um ihn rankten. In Händlerkreisen wurde sogar die Ansicht geäußert, es handele sich um einen Geist, den die ebenfalls nebulösen Betreiber der Plattform erfunden hatten, um gar zu übermütige Elemente entweder
Weitere Kostenlose Bücher