Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2312

2312

Titel: 2312 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
hatten, aber das hier war etwas anderes. Genette warf eine helle Lampe nach vorne und aktivierte kurz eine Düse, um den Rückstoß des Wurfes auszugleichen. Das winzige Licht trieb durch den leeren Raum vor ihnen und ließ die Wände des Zylinders deutlich hervortreten.
    Swan blickte sich um, und die Bewegung versetzte sie in eine leichte Drehung. Hier war es so düster, so verlassen. Eine emotionale Aufwallung brachte sie ins Trudeln. Vielleicht lag es am Schicksal ihrer armen Heimat Terminator: Sie drückte sich die Faust ans Visier und hörte sich selbst Wehklagen.
    »Ja«, sagte die kleine, silberne Gestalt, die neben ihr schwebte. »Hier ist es zu einem Druckverlust gekommen, ohne Vorwarnung. Yggdrasil war ein ganz gewöhnliches Konglomerat aus Chondrit und Wasser-Eis. Bei den Ermittlungen über den Unfall kam heraus, dass ein kleiner Meteorit zufällig eine unentdeckt gebliebene Nahtstelle in der Zylinderwand getroffen und vaporisiert hat, worauf es zu einem katastrophalen Druckverlust im Innern kam. Es war nicht das erste Mal, dass so etwas geschehen ist, aber in diesem Fall war der Asteroid als A++ eingestuft worden. In den bisherigen Fällen, bei denen es zu Rissen kam, waren die Asteroiden als B oder C eingestuft gewesen, und man hat sie leichtsinnigerweise besiedelt. Ich habe mir also einige ältere Unfälle angesehen und dabei auf bestimmte Auffälligkeiten geachtet und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich diesen Asteroiden noch einmal genauer in Augenschein nehmen muss. Vor allem von außen, aber erst wollte ich einen Blick ins Innere werfen.«
    »Sind viele Menschen gestorben?«
    »Ja, etwa dreitausend. Es ging sehr schnell. Einige Leute konnten sich in Gebäuden mit Schutzräumen retten und andere hatten Raumanzüge oder Luftschleusen in der Nähe. Alle übrigen Bewohner des Stadtstaats sind ums Leben gekommen. Die Überlebenden beschlossen, das Terrarium als Mahnmal leer treiben zu lassen.«
    »Also ist das hier jetzt eine Art Friedhof.«
    »Ja. Irgendwo hier drin gibt es eine Gedenkstätte, ich glaube, am anderen Ende. Ich möchte mir den Riss von innen ansehen.«
    Genette besprach sich mit Passepartout und führte Swan dann durch den Innenraum zu einem Spazierweg an der gegenüberliegenden Zylinderseite. Das Stadtbild hier erinnerte an Paris, mit breiten Straßen zwischen trapezförmigen, fünf Stockwerken hohen Häuserblocks.
    Sie schwebten über einen Bereich, in dem der Asphalt zusammengestaucht war und die Gebäude schräg standen. Es sah aus wie auf alten Erdbebenfotos von Terra. Die Stille war befremdlich.
    »Warum mussten sich die Leute ein Konglomerat aushöhlen? Gibt es nicht genug Nickel-Eisen-Asteroiden in der Gegend?«, fragte Swan.
    »Das sollte man meinen. Aber man hat ein paar von diesen Dingern ausgehöhlt und festgestellt, dass es ganz wunderbar funktionierte. Wenn man die Wände dick genug lässt, dann werden sie durch die Rotation und den inneren Luftdruck nicht ernsthaft beansprucht. Normalerweise müssten sie halten, und das tun sie auch. Aber der hier ist eingerissen. Ein kleiner Meteor hat ihn an genau der falschen Stelle erwischt.«
    Sie schwebten über einen Bereich, in dem die heftigen Erschütterungen einige der weißen Betonplatten fortgeschleudert hatten, sodass sich ein langer Riss durchs Pflaster zog. Dahinter war das All: Swan sah die Sterne.
    Sie ließen die verwüstete Straße hinter sich und schwebten wieder aus dem Asteroiden hinaus. Draußen bewegten sie sich mit behutsamen Hüpfern und Düsenstößen über den Fels, auf die Art, auf die man in der Mikrogravitation von Asteroiden am besten vorankommt. Swan hatte in ihrer Zeit als Terrarien-Designerin einige Zeit bei solch niedriger Schwerkraft verbracht, und wie man sah, hatte Genette die entsprechende Fortbewegungsweise perfektioniert, was bei einer Person, die hauptsächlich im Aste roidengürtel lebte, nur logisch war.
    Als sie den Spalt auf der Außenseite erreichten, waren dort bereits mehrere Interplan-Mitarbeiter am Werk. Mit einigen Ballettsprüngen und einer Drehung flog Genette kopfüber abwärts und machte dabei Fotos von der Innenseite der Bruchstelle. Einige kleine Höhlungen in den Seiten untersuchte Genette auf einer Hand stehend, das Visier wenige Zentimeter vom Gestein entfernt.
    »Ich glaube, ich habe alles, was ich brauche«, hieß es dann nach einer Weile.
    Schwebend sahen sie den anderen beim Weiterarbeiten zu. Genette sagte: »Du hast doch einen Qube im Schädel, stimmt’s?«
    »Ja.

Weitere Kostenlose Bücher