2369 - Quartier Lemurica
ließ sieh schließlich zurückfallen und stützte den Kopf müde zwischen die Hände. „Wenn es doch jemals besser werden würde ..."
„Das wird es, vertrau mir." Elfia streichelte zitternd über seinen Rücken. „Die Typen im Trivid schaffen's ja auch alle. Und jetzt reich mir endlich den Scharfen rüber."
Windor stand auf, ging mit schlurfendem Schritt aus dem Schlafzimmer. „Wenn ich das Geld für die Miete nicht zusammenkrieg, dann musst du ran", sagte er, bevor er den engen Raum verließ. „Ich weiß:" Elfia drehte sich zur Seite, nippte am Syntho-Schnaps und atmete tief durch. „Der Hauswirt bekommt, was er verlangt."
Die dünne Cyclo-Tür schloss sich schmatzend hinter Windor.
Elfia lauschte. Es erschien ihr für die Tageszeit ungewöhnlich ruhig. Das Schreien und Hupen und Schimpfen und Heulen, jene übliche Geräuschkulisse, die von den Straßen und den Lichthöfen in ihre kleine Wohnung drang, erschien ihr heute weit, weit weg. Selbst die Kinder, die sonst wie verrückt durch ihr Zimmer jagten, schienen auf ihren Zustand Rücksicht zu nehmen.
Elfia streichelte über ihren Bauch. Er zeigte bereits eine kleine Rundung. Seit Wochen schon wusste sie, was mit ihr los war. Sie hatte es vor sich selbst geleugnet, hatte das Leben, das in ihr heranwuchs, einfach ignoriert. So lange, bis sich das Kind mit heftigen Tritten in Erinnerung gerufen hatte. Ein zusätzliches Balg würde in diesem Elend heranwachsen müssen.
Sie nahm einen weiteren, tiefen Schluck aus der Flasche und genoss die Wärme, die sich in ihrem Magen ausbreitete.
Das Leben war beschissen. Ein einziges Jammertal. Elfia unterdrückte das Schluchzen, das plötzlich in ihr hoch drängte.
Es gab bloß eine Hoffnung, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Sie würde an der Verlosung teilnehmen. So, wie sie es bereits anlässlich der Geburt ihrer Söhne Varo, Janicim und Feitlo getan hatte.
Hundertdreißig Auserwählte schaffen es im Jahr, dachte Elfia, während sich bleierne Müdigkeit über sie legte. Nicht mehr und nicht weniger. Bloß ein Bruchteil jener, die geboren werden. Sie entkommen diesem Elend, um ein Leben in Saus und Braus zu genießen.
Das Trivid des Schlafzimmers erwachte zum Leben. Die meisten Übertragungskanäle zeigten Schmonzetten, die sie so sehr liebte. Die Naturfilme waren nicht nach ihrem Geschmack; sie erschienen ihr so weit weg und so ... obszön. Nachrichten aus den Himmelszonen ödeten sie an, die Werbeprogramme verloren nach der hundertsten Wiederholung ihren Reiz. Die Mitmachkanäle, bei denen man kleine Prämien gewinnen konnte, strengten an.
Sie erforderten viel zu viel Gehirnschmalz - auch wenn sie recht gerne den neuesten Schallfresser oder eine Hand-Cyclo-Presse gehabt hätte.
Warum spielte Windor nicht mit? 50 Stockwerke oberhalb gab es angeblich zwei Typen, die nichts anderes taten, als den lieben langen Tag vor dem Trivid zu sitzen, um Gewinne einzuheimsen. Man sagte, dass sie mit dem Verkauf der Prämien recht gut verdienten und sich so eine Wohnung nahe der Himmelszone leisten konnten.
Windor war zu blöd für die Mitmachspiele, gestand sie sich ein. Er hatte keine Ahnung, was sich rings um ihn herum tat.
Weder wusste er über ihre Heimat Bescheid, noch kannte er sich in der Politik aus oder wollte etwas über Raumfahrt, die Priesterschaft oder die Fragmentwelten wissen. Sein höchstes Glück waren Saufereien mit irgendwelchen Kumpanen tief unten im Schattenreich. Sie hätte wissen müssen, dass mit diesem Versager kein Hochkommen möglich war!
Elfia hustete. Sie stützte sich hoch und tauschte den Fensterfilter aus. Den alten, klebrig braunen warf sie in den Cyclo-Behälter. Er zeigte einen geringen Betrag an, der ihrem Haushaltskonto gutgeschrieben wurde. Das Geld stand in keinem Vergleich zu den Kosten eines neuen Filtersatzes, den sie in den nächsten Tagen würde bestellen müssen.
Sie blickte durch das kleine Fenster ins Freie. Neblige Schlieren zogen sich über die Straßenstege, die im Abstand von wenigen Metern zur Wohnung vorbeiführten. Ein Beleuchtungskörper flackerte, die anderen warfen trübes Licht.
Elfia sah auf die Uhr. Es war helllichter Tag - zumindest im Himmelreich, weit oberhalb. Vielleicht schien dort die Sonne, vielleicht regnete es. Hier, an der Grenze zum unteren Drittel ihres Wohnblocks, tröpfelte es stets. Was auch immer die Flüssigkeit sein mochte, die vom Himmelreich herabgeronnen kam - sie war seit jeher Bestandteil ihres Lebens gewesen.
Gegenüber, in
Weitere Kostenlose Bücher