24 - Ardistan und Dschinnistan I
erfahren, was meine beiden Zuhörerinnen zu fragen und zu forschen hatten, und ich möchte gern einen jeden, der diese meine Zeilen in die Hand bekommt, in dieses Allerheiligste der Menschenseele blicken lassen; aber ich muß alles vermeiden, was zu der falschen Meinung leiten könnte, daß ich mit meinen Erzählungen sonderreligiöse oder aftertheologische Zwecke verfolge, und so will ich, wie so oft, auch hier über alles das hinweggehen, was lehrhaft erscheinen könnte.
Wenn ich gesagt habe, daß wir noch stundenlang saßen, so ist das sehr reichlich gemeint. Sooft ich mich von meinem Sitz erhob, um Schluß zu machen, wurde ich gebeten, noch zu bleiben. Als aber endlich im Osten der erste blasse Gruß des Tages mit dem auch dorthin dringenden Lichte der Vulkane zusammenfloß, sahen die beiden Freundinnen ein, daß es notwendig sei, sich mit dem, was sie jetzt gehört hatten, einstweilen zu begnügen. Wir verließen die Plattform des Tempels, um wieder hinabzusteigen. Der Diener war trotz der Geduldsprobe, die man ihm zugemutet hatte, noch da. Er bekam das Zeichen, den Leuchter wieder emporzuziehen. Von dem Schein der fast gänzlich niedergebrannten Lichter begleitet, gelangten wir hinab und traten ins Freie. Die Frauen bedankten sich. Die Priesterin hatte noch einen besonderen Auftrag für mich, der ihr unendlich am Herzen lag. Ich hatte im Verlauf unserer Unterredung Veranlassung gefunden, meinen Besuch bei dem Dschirbani auf der ‚Insel der Heiden‘ anzudeuten. Sie kam jetzt hierauf zurück, indem sie sich erkundigte, wann ich diesen Besuch zu machen gedenke.
„Er hat mich um die Mitte des Vormittags bestellt“, berichtete ich ihr.
„Möchtest du mir die Güte erweisen, ihm eine Bitte von mir zu überbringen?“
„Gern! Befiehl über mich!“
„Er ist mein Enkel, der Sohn meiner Tochter, und doch war es mir verboten, mit ihm zu verkehren. Es gab Rücksichten, die mich zwangen, dies dem Sahahr zu versprechen. Wir lieben uns, wie Gott und die Natur es verlangen, auch grüßen wir uns, doch nur von weitem. Jetzt aber ist der Sahahr so schwer verletzt, daß nur die Kunst seines Enkels ihn vom Tod zu erretten vermag, und da fühle ich mich nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, für diesmal mein dem Sahahr gegebenes Versprechen aufzuheben. Ich bitte dich, dem Sohn meiner Tochter zu sagen, daß ich genau um die Mittagszeit im Tempel sein werde, um mit ihm zu sprechen. Und um noch etwas muß ich dich bitten. Es betrifft den Sahahr. Seit er verwundet heimgebracht worden ist, haben ihn ganz eigenartige Gedanken ergriffen. Es ist, als ob er phantasiere, aber doch ist er bei Sinnen. Erst hielt ich es für ein sehr frühzeitig auftretendes Wundfieber, bis mich der Puls überzeugte, daß dies ein Irrtum sei. Was aus diesen Gedanken wird, weiß ich noch nicht. Sie beschäftigen sich auch mit dir. Aber mögen sie sich entwickeln, wie sie wollen, so bitte ich dich, überzeugt zu sein, daß der Sahahr deine Hochachtung verdient und ein Mann ist, der nur das Glück und Wohl seines Volkes will. Er haßt seinen Enkel nur als den Sohn des Dschinnistani, der den Ussul den Stamm ihrer Priesterinnen vernichtete, als den Sohn seines Kindes aber liebt er ihn heimlich um so inniger. Und dieser innere Kampf, dieser Zwiespalt ist es, der ihn nach außen hin so hart und grausam macht.“
„Konnte deine Tochter denn nicht auch als Frau des Dschinnistani deine Nachfolgerin werden?“ fragte ich. „Er war ja doch Ussul geworden!“
„Nur äußerlich, doch nicht innerlich. Sein Glaube war ein anderer als der unsere, und er zog den ihrigen zu sich hinüber. Wäre sie dem Glauben ihrer Väter und Mütter treu geblieben, so wäre sie auch als Frau dieses Mannes Priesterin geworden, aber er hätte der Nachfolger meines Mannes, also Sahahr, werden müssen, und das, das wies der Dschinnistani streng von sich zurück.“
„War sein Glaube so verschieden von dem euren?“
„Ja. Zwar hat er ihn nie in Worten gelehrt, ihn aber immer in einer Weise bekannt, die tiefer und länger wirkt, als Worte wirken können. Du wirst das sehen, sobald du die ‚Insel der Heiden‘ betrittst. Wirst du mir meine Bitte, die sich auf den Sahahr bezieht, erfüllen können?“
„Sie ist bereits erfüllt. Ich achte ihn. Darum bedaure ich es von Herzen, daß wegen seiner Verwundung nun wohl ein anderer die Zeremonie unserer Aufnahme unter die Ussul leiten wird.“
„Welche Zeremonie?“ fragte da die Frau des Scheiks.
„Von der er gestern
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