Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Nachdenken und Kenntnisse erforderte! Und als du dich entfernt hattest, legte man die ganze Last der diplomatischen und kriegerischen Verwicklungen nur ganz allein auf meine Schultern! Denke dir doch nur diese Verantwortlichkeit! Und diese Kopfarbeit für mich! Da reicht ein einzelner Kopf gar nicht mehr zu! Ist es da ein Wunder, wenn man mehrere Köpfe bekommt? Ich habe sieben oder acht! Und weil das einzige Gehirn, welches man hat, für so viele Köpfe nicht ausreicht, so ist es doch wahrlich kein Wunder, daß sie sich nach und nach mit Simmsemm füllen und so ungeheuer schwer werden, daß sie nur immer herunterfallen wollen! Und wie das summt und brummt! Hörst du es, Effendi? Ich wollte, deine Köpfe brummten, aber nicht meine!“
    Um ihm diesen Wunsch in heiterer Weise zu vergelten, antwortete ich:
    „Das glaube ich, daß du das möchtest! Aber sag, Halef, ist dir die hundertundneunte Sure des Koran bekannt?“
    Er sann nach, rieb sich die Stirn und brummte:
    „Hm! Warum grad diese hohe Ziffer? Du weißt, Sihdi, daß ich im Koran gut bewandert bin, aber wenn du gleich so über die Hundert hinausgehst, muß ich erst meine Köpfe alle versammeln, ehe ich dir antworten kann. Ich habe neun oder zehn! Mit Ziffern kann ich mich in diesem Augenblick nicht gut befassen. Sobald ich nach einer fassen will, die im dritten Kopf steckt, springt sie mir in den sechsten oder siebenten hinüber, und wenn ich da so töricht wäre, ihr zu folgen, so rissen wir inzwischen alle andern aus. Sag also nicht, die wievielte du meinst, sondern ihre Überschrift, ihren Namen!“
    „Man nennt sie El Imtihan, die Prüfung“, antwortete ich.
    Die hundertundneunte Sure des Koran trägt diesen Namen, weil man sich ihrer zur Feststellung der Nüchternheit oder Betrunkenheit eines Menschen bedient. Sie lautet: „Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Sprich: O ihr Ungläubige, ich verehre nicht das, was ihr verehret, und ihr verehret nicht, was ich verehre, und ich werde auch nie verehren das, was ihr verehret, und ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt eure Religion, und ich habe die meinige.“ Das klingt im Deutschen einfach und ganz ungefährlich, bietet im Arabischen aber sprachliche Schlingen, denen jemand, der betrunken ist, mit fast unbedingter Sicherheit verfällt. Halef wußte das ebensogut wie ich; darum sagte er, als er den Namen hörte:
    „Die Sure El Imtihan? Willst du mich prüfen? Denkst du vielleicht gar, daß ich betrunken bin?“
    „Daß du es warst, ist sicher. Ob du es noch bist, bezweifle ich, möchte es aber doch bewiesen sehen.“
    „Sofort! Sofort!“ rief er aus. „Ich und betrunken! Der berühmte Scheik der Haddedihn vom großen Stamm der Schammar soll zuviel getrunken haben! Welch eine Schande! Welch eine Anklage! Welch eine Lästerung! Ich sage dir, Effendi, nur meine Köpfe sind schwer; mein Magen aber ist leicht, ist völlig leer! Komm, und greif her! Du wirst sofort fühlen, daß nichts drin ist! Habe ich da zu viel getrunken? Oder ist das nicht vielmehr der allerbedeutendste Beweis, daß ich im Gegenteil zu wenig, viel zu wenig getrunken habe? Und da verlangst du von mir die hundert – die hundertund – na, kurz und gut, die Sure!“
    „Ja, die verlange ich!“
    „Mit welchem Recht? Ebensogut kann ich sie auch von dir verlangen! Du warst auch mit beim Fest, beim Essen und beim Trinken! Und – du wackelst! Sihdi, du wackelst! Du wackelst wirklich; ich sehe es ganz deutlich!“
    „So fordere sie von mir!“
    „Schön! Gut! Abgemacht! Sihdi, ich fordere sie von dir! Also, fang an! Aber wehe dir, wenn du falsche Worte bringst oder gar steckenbleibst! Ich lasse keinen einzigen Fehler durch! Nicht den geringsten!“
    Ich rezitierte die Sure. Als ich fertig war, schüttelte er den Kopf und sagte:
    „Sehr gut! Sehr genau und richtig! Ohne allen Anstoß! Das habe ich ganz genau gehört, denn ich kann sie nämlich auch! Und doch hast du dabei gewackelt! Hin und her gewackelt! Aber wie! Das beweist nur, daß auch Leute, die nicht betrunken sind, wackeln können. Merke dir das, Effendi! Wenn ich also vielleicht ein bißchen wackeln sollte, so beweist das eben nur, daß ich grad und genau ebenso nüchtern bin wie du. Nun komme also ich an die Reihe! Soll ich dazu aufstehen?“
    „Natürlich! Die Sure Imtihan wird zu diesem Zweck stets nur im Stehen gebetet. Das weißt du ja!“
    „Ja, ich weiß es. Darum stehe ich auf!“
    Er wollte mit einem einzigen, schnellen Ruck in die Höhe. Es gelang

Weitere Kostenlose Bücher