24 - Ardistan und Dschinnistan I
gewöhnlicher Gaul unseres heimischen Schlages, hat ganz andere Regungen, ganz andere Neigungen, und muß darum auch ganz anders behandelt werden. Wir werden auf dieses ganz eigenartige und hochinteressante Gebiet noch oft zu sprechen kommen.
Es war mir unmöglich, schlafen zu gehen. Der Gedanke, die beiden geheimnisvollsten Gegenden der Erde besuchen zu dürfen, wäre mir zu jeder Zeit von höchstem Interesse gewesen. Hier aber handelte es sich um mehr, als nur um einen gewöhnlichen, zwecklosen Besuch. Ich hatte einen hochwichtigen Auftrag auszuführen. Dieser Auftrag war von Marah Durimeh als eine Mission bezeichnet worden, und zwar mit vollem Recht. Das erweckte in mir das Gefühl einer ungewöhnlichen Verpflichtung, einer außerordentlichen Verantwortlichkeit, welches mich unruhig machte und nach der Bibliothek trieb, wo ich bis zum frühen Morgen über den Büchern und Karten saß, um mir später sagen zu können, daß ich nichts versäumt habe, was nötig gewesen sei, den an mich gestellten Anforderungen zu genügen.
Auch Marah Durimeh war schon früh munter, ebenso Schakara. Sie fanden mich in der Bibliothek. Von da gingen wir zum Frühstück auf den Söller. Dort erfuhr ich, daß die ‚Wilahde‘ genau um Mittag die Anker lichten werde. Schakara sollte mich über die See hinweg bis zur Stunde unserer Ausschiffung begleiten, um mir bis dahin auf meine Fragen alle ihr mögliche Auskunft zu erteilen. Dann hatte sie direkt nach Ikbal zurückzukehren.
Als unsere Utensilien für die Fahrt gepackt werden sollten, legte Marah Durimeh einige Gegenstände bei, von denen sie sich Nutzen für uns versprach. Es befand sich ein blank polierter Brustschild dabei, kein ganzer Panzer für den Oberleib, sondern nur ein Schild, leicht und dünn, der nur bestimmt war, das Herz und die Lunge zu schützen. Er war aus einem mir unbekannten Metall oder einer Metallegierung und so außerordentlich gefügig, daß man ihn unter einem ganz dünnen Gewandstoff tragen konnte, ohne daß er auffiel.
„Diesen Schutz legst du an, noch ehe du Ardistan betrittst“, sagte Marah Durimeh.
„Glaubst du, daß uns dort so große Gefahren drohen?“ fragte ich.
„Gefahren wird es geben, nicht wenige und nicht leichte“, antwortete sie. „Aber ich habe keine Sorge um euch; ihr werdet sie bestehen. Zwar ist dieser Schild wohl auch zu deinem Schutz bestimmt, und er hat Achselriemen, um auf der Brust getragen zu werden; zugleich aber ist er auch ein Erkennungszeichen zwischen dir und gewissen Personen, denen du begegnen wirst.“
„Darf ich schon jetzt erfahren, wer sie sind?“
„Nein. Du sollst frei sein. Kein Name darf dich binden.“
„Aber wenn sie mich an dem Schild erkennen, woran erkenne ich sie?“
„An genau demselben Schild. Es ist der Schild der Schwarzgewappneten und der Lanzenreiter von Dschinnistan. Trage ihn, aber sprich nicht von ihm. Doch triffst du auf jemand, der dir sagt, daß er einen solchen Schild besitzt, so teile ihm mit, daß auch du einen bekommen hast und zwar direkt von Marah Durimeh. Ihr könnt euch beide trauen, euch aufeinander verlassen in jeder Not und Gefahr.“
Als die Zeit der Abreise gekommen war, brachten wir unsere Pferde selbst an Bord, denn sie waren so wertvoll, daß wir sie keiner anderen Person anvertrauten. Auch Schakara war dabei, und Marah Durimeh begleitete uns, einfach, bescheiden, wie ein gewöhnliches Weib, von allen, die uns unterwegs sahen, mit Ehrerbietung und Liebe gegrüßt, doch unauffällig, in selbstverständlicher und ungekünstelter Weise. So war der Abschied auch. Sie stand am Ufer und grüßte mit der Hand, als das Schiff den Anker hob. Hierauf ging sie. Kurze Zeit später sahen wir sie auf dem Söller erscheinen. Da stand sie, bis wir sie nicht mehr sehen konnten. Dann verschwand auch der Palast, die Stadt, das dunkle Gebirge, das ganze, uns bekannt gewordene Sitara, und wir sahen nichts mehr als nur die unendlich weite See, der wir auf Treu und Glauben überliefert worden waren.
Zu jeder anderen Zeit hätte ich mich um das Schiff, seine Bemannung und seine Einrichtung gewiß sehr eingehend gekümmert; jetzt aber hatte ich keine Zeit dazu. Ich mußte jede Minute ausnutzen, um mich zu unterrichten. Die Bücher, welche ich mitgenommen hatte, mußten mit Schakara wieder zurückgehen. Ich hatte sie also bis dahin durchzunehmen und las und las und schrieb und schrieb, um alles, was ich für wichtig hielt, zu notieren. Schakara half mir dabei. Als drei Tage vorüber waren,
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