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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und den Fels verlassen wollten, um zu uns niederzuschweben.
    „Sihdi, die springen noch herab!“ sagte Halef, der schon munterer als ich und nur noch nicht aufgestanden war, um mich nicht zu stören. Jetzt sprang er auf, wirbelte die beiden Arme in der Luft und schrie zum Fels empor, daß man sich doch um Allahs willen in acht nehmen und ja nicht heruntergeflogen, sondern heruntergelaufen kommen möge.
    Da verstummte der Gesang. Sie lauschten. Sie hatten zwar gesehen und gehört, daß er sprach, ihn aber nicht verstanden. Er legte die Hände als Schalltrichter an den Mund und wiederholte, was er gesagt hatte. Da wurde er verstanden. Die Sängerin machte mit ihren Händen denselben Gebrauch wie er mit den seinen, und rief uns zu:
    „So wartet! Ich komme hinunter!“ Dann traten beide von der gefährlichen Stelle zurück, worauf sie verschwanden. Halef sagte, indem er erleichtert aufatmete:
    „Allah sei Dank! Das war ja gar nicht mehr anzusehen! Soviel Augenblicke gab es, so vielmal schienen sie im Abstürzen zu sein! Darf ich denn endlich von ihnen sprechen? Gestern abend war es verboten.“
    „Weil man so tiefe, heilige Regungen zu achten hat, lieber Halef! Auch jetzt wäre es besser gewesen, wenn du ihren Gesang nicht vor dem Schluß abgebrochen hättest.“
    „Verzeih, Effendi! Ich konnte es nicht länger aushalten. Ich hatte Angst, sie würden stürzen. Sag, wer werden sie sein?“
    „Das weiß ich nicht. Ihre Sprache ist kein Dialekt, sondern rein und edel, wie nur ein vornehmer Mund sich auszudrücken pflegt. Wir werden ja sehen. Sie will kommen. Wir reiten ihr die wenigen Schritte entgegen.“
    Gereinigt und gesattelt war schnell. Dann stiegen wir auf und wandten uns dem Tor zu, welches zu erreichen nur ganz kurze Zeit erforderte. Auch bis dorthin gab es weder auf der einen noch auf der andern Seite des Flußbetts eine Stelle, an der man emporklettern konnte. Die Falle war also in unserm Sinne vollständig tadellos gebaut. Auch die beiden Sänger hatten nicht hier hinauf gekonnt. Der Weg, der die Altistin herunterführte, mußte jenseits des Tors liegen, auf der Nord- oder Außenseite desselben. Wir ritten also hindurch. Jenseits angekommen, avancierten wir nur noch einige Schritte weiter und hielten dann, um die Ankunft der Frau – oder war es ein Mädchen? – zu erwarten.
    Es vergingen einige Minuten. Niemand kam. Halef wurde ungeduldig. Er meinte, daß wir noch ein Stück weiter vorwärts müßten; ich aber riet, zu bleiben. Ich hielt still; er dagegen ritt langsam hin und her. Da sah ich, daß er plötzlich eine Bewegung der Überraschung machte, die Hand nach seinem Gesicht bewegte und dann nach oben sah. „Was ist?“ fragte ich.
    „Es fiel ein Steinchen herab“, antwortete er.
    Nach einiger Zeit machte er dieselbe Bewegung, und dann auch noch zum dritten Male.
    „Sihdi, man wirft!“ sagte er, indem er wieder nach oben schaute. „Man zielt sehr genau, nämlich immer nach meinem Gesicht. Da oben steckt jemand!“
    „Wohl kaum! Kein Mensch kann da hinauf und wieder herunter!“
    „Und doch muß jemand es können, denn die Steinchen kommen von oben! Wer mag es sein, der es wagt, mit mir zu spaßen?“
    „Ein Mädchen. Ein liebes, munteres Kind von noch nicht siebzehn Jahren.“
    „Siehst du sie etwa?“ fragte er da schnell.
    „Nein“, antwortete ich.
    „Wie kannst du da wissen, daß sie lieb ist und munter und noch nicht siebzehn Jahre alt?“
    „Weil eine, die nicht mehr so jung ist auch nicht lieb und munter ist, wohl nicht mit dir scherzen würde.“
    „Ja, das stimmt allerdings. Kennst du etwa auch schon ihre Gestalt?“
    „So ziemlich.“
    „Woher?“
    „Ich beurteile sie nach der Kraft und Fülle und dennoch außerordentlichen Weichheit ihrer Stimme, denn ich nehme an, daß es die Sängerin ist, die versprochen hat, herabzukommen. Sie ist gewohnt, tief zu atmen; sie klettert gut; sie ist schwindelfrei. Sag, was hieraus zu schließen ist.“
    „Hm!“ antwortete er verlegen. „Willst du das nicht selbst sagen, Sihdi?“
    „Nein. Ich möchte es von dir hören.“
    „Schön – gut – also, ich schließe daraus, daß sie scharfe Augen hat, eine kühne, vortretende Nase, einen kräftigen, breiten Mund, einen starken, dicken Hals, aus dem die lauten, vollen Töne kommen, sehr tüchtige Schultern und Achseln, zwei eisenfeste Kletterhüften –“
    Er wurde unterbrochen. Ein kurzes, fröhliches Lachen erscholl. Halef richtete den Blick wieder in die Höhe und

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