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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Ausdruck größter Spannung zu mir empor und fragte:
    „Kennst du Sitara, Effendi? Kennst du es?“
    „Ich kenne es.“
    „Aber nicht seine Herrscherin?“
    „Auch diese.“
    „Dem Namen nach?“
    „Persönlich.“
    „Du hast sie gesehen?“
    Sie fragte so langsam, so gewichtig. Ihre langen, schweren Wimpern beschatteten dabei einen Blick, der voll Erstaunen, Wißbegier und verhaltener Freude zu mir herüberleuchtete.
    „Nicht nur gesehen, sondern auch gesprochen. Ich war ihr Gast.“
    „In Ikbal?“
    „Ja, in ihrem Haus.“
    „Du hast bei ihr gewohnt?“
    „Ja.“
    „Du kommst etwa von ihr? Sie hat dich etwa gesandt?“
    „Warum fragst du das?“
    Sie war wie begeistert gewesen. Bei diesen meinen Worten beherrschte sie sich und fuhr ruhiger fort:
    „Verzeih, Sihdi! Ich weiß, ich bin noch zu jung zu solchen Fragen. Aber ich bitte dich: Erlaube mir, dich einmal zu berühren!“
    „Gern! Greif zu!“
    Ich nahm an, daß sie nach meiner Hand fassen wolle. Sie tat das aber nicht, sondern sie trat näher zu mir heran, hob die ihrige empor und klopfte mir mit den Spitzen des Zeige- und des Mittelfingers auf die Brust, indem sie ihr Köpfchen mir horchend entgegenneigte.
    „Er hat ihn; er hat ihn!“ jubelte sie auf. „Ich dachte es mir! Ich habe es geahnt! Er hat ihn!“
    „Wen habe ich? Was?“
    „Den Schild! Ich fühle ihn! Oder ist die Platte, welche dein Herz zu beschützen hat, nicht ein Schild, den dir die Herrin von Sitara mitgegeben hat?“
    „Allerdings. Weißt du, wie diese Herrin heißt?“
    „Marah Durimeh! Ich muß fort! Ich muß zum Vater! Ich muß ihm melden, daß –“
    Sie konnte den Satz, den sie angefangen hatte, nicht vollenden, denn in diesem Augenblick ereignete sich etwas, was mit dem tiefen Ernst, der uns beide beherrschte, in grellem Widerspruch stand. Nämlich zu unseren Füßen, ganz unten am Boden, bewegte sich etwas. Halefs Kopf erschien. Dann kamen die Hände und die Arme aus dem Loch heraus. Die Schultern schoben sich nach. Er sah unsere Füße, überhaupt die unteren Körperteile von uns, stemmte die Ellenbogen fest auf und hob den Kopf empor, um uns anzuschauen. Das sah so drollig aus, und sein Gesicht zeigte dabei einen so belustigenden Ausdruck, daß wir beide ganz den Ernst vergaßen und herzlich zu lachen begannen.
    „Ihr lacht?“ fragte er, indem er nicht wußte, ob er in unsere Heiterkeit mit einstimmen oder sich über sie ärgern sollte. „Ich finde die Sache gar nicht so lächerlich wie Ihr! Sie ist sogar sehr wichtig!“
    „Wichtig?“ fragte Merhameh, ohne ihr Lachen einzustellen, weil er, ohne sich aufzurichten, mit halbem Leib im Loch steckenblieb. „Weshalb?“
    „Als Beweis! Der Sihdi hat sein Wort gehalten, dich in einer Minute zu entdecken. Und ich habe bewiesen, daß auch ich nicht länger brauche, es zu tun. Das muß doch anerkannt werden! Oder nicht?“
    „Allerdings!“ stimmte ich heiter ein. „Wie hast du den Weg so schnell gefunden?“
    „Auf die pfiffigste und einfachste Weise, die es gibt. Ich schlich mich heimlich und leise hinter dir her, denn ich sagte mir: Was der kann, das kann ich auch! Als du dich eng an den Stein lehntest, lag ich schon hinter dem nächsten Stein. Als du die – die – den Spaßvogel forthuschen sahst, sah ich ihn auch. Als du hinter den Stein krochst, nahm ich schnell die Stelle ein, an der du dich soeben befunden hattest. Ich hörte das Vöglein ‚Effendi, Effendi‘ rufen; dann kehrte es wieder zurück und verschwand, ohne mich zu sehen, zwischen dem Stein und der Felsenwand. Ich wartete noch einige Augenblicke und folgte ihr. Sie war verschwunden. Wohin? Ich suchte; ich fand das Loch und kroch hinein, genauso, wie auch ihr hineingekrochen seid. Was lacht ihr mich da aus! Übrigens höre ich, daß sie dich bereits Sihdi nennt; ihr scheint also schon auf sehr vertraulichem Fuß miteinander zu stehen. Woher weiß sie denn, daß du mein Sihdi bist?“
    „Das habe ich nicht erst hier, sondern schon draußen gehört“, antwortete sie. „Du hast ihn ja laut genug Sihdi und Effendi genannt, als du immerwährend hinauf zum Himmel gucktest. Jetzt scheinst du die Erde zu lieben!“
    „Die Erde?“ fragte er. „Wieso? Ach so! Ich stecke noch drin!“
    Er kam vollends herausgekrochen und richtete sich empor. Er sah sie nun nicht mehr von unten herauf, sondern in waagrechter Augenebene. Und da geschah etwas so Überraschendes, so Seltenes, so Tief ergreifendes, daß ich es selbst noch heute nicht ohne Rührung

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