24 - Ardistan und Dschinnistan I
meiner Genugtuung eine fast zwei Meter hohe und über mannstarke Öffnung fand, durch die ich kroch, denn gehen konnte man nicht, da sie oben zu schmal war. Sie war gar nicht lang und führte zu meinem Erstaunen nicht in die Felsenwand hinein, sondern aus ihr schnell wieder heraus in das Freie. Diese Wand war nämlich nur auf ihrer vorderen Seite kompakt, hinten aber zerrissen und zerklüftet. Diese Risse und Klüfte griffen ineinander ein und bildeten in ihrer Gesamtheit einen gar nicht schwer zu gehenden Zickzackweg nach oben, der aber von der Außenseite nicht zu sehen war. Der Anfang dieses Zickzackweges, nämlich die Öffnung, die ich jetzt hinter mir hatte, war früher jedenfalls nicht verborgen, sondern unverdeckt gewesen; sie hatte offen in das Tal des Flusses gemündet. Später aber hatte es Gründe gegeben, diesen Zugang zu der Höhe des Felsentors zu verstecken. Der Stein war vorgelegt worden, um die Stelle so zu maskieren, daß man sie wenigstens nicht gleich beim ersten Mal sah. Ich richtete mich zunächst auf, um das alles mit einem raschen Blick zu überfliegen; dann setzte ich mich auf einen Stein, der neben dem Loch lag, durch welches ich soeben gekommen war und durch welches nun schleunigst auch die Sängerin kommen mußte, um sich wieder zu verstecken, während wir draußen vergeblich nach ihr suchten.
Und sie kam wenige Augenblicke nach mir und genauso gekrochen wie ich! Dann richtete sie sich auf, von mir abgewandt, so daß ich hinter ihr saß und von ihr nicht gesehen wurde. Ein halblautes, unbeschreiblich liebes, süßes Lachen entquoll ihrer Brust. Hätte man weiter nichts von ihr gehört als nur dieses eine, einzige Lachen, so hätte man sie doch schon lieben müssen! Sie trat einen Schritt zurück; dabei berührte sie mich. Sie fuhr augenblicklich herum, während ich mich zu gleicher Zeit erhob.
„Sihdi! Effendi!“ rief sie erschrocken aus, während ihr schönes, edles Gesicht in glühender Röte flammte.
„In einer Minute! Habe ich Wort gehalten?“ fragte ich.
„Ja“, antwortete sie, indem ihr Auge, um mich zu betrachten, größer zu werden schien. „Du hältst wohl immer Wort?“
„Woher weißt du das?“
„Ich sehe es dir an. Ich wagte nur, ihm zu werfen, nicht aber dich. Wie heißt er?“
„Hadschi Halef Omar.“
„Ein Hadschi ist er? Also ein frommer Mann? Das will mir wohl gefallen. Hätte ich das gewußt, so hätte ich nicht mit ihm gescherzt. Aber als ich ihn sah, kam es mir vor, als müsse man mit ihm spielen!“
„Er liebt den Scherz, doch nicht das Spiel. Er ist ein tapferer, treuer, weitgereister Mann, der oberste Scheik eines berühmten Stammes.“
„Von welchem Volke?“
„Vom Volke der Araber.“
„Von jenseits des Meeres?“
„Ja.“
„Ein – Araber! Von – jenseits des Meeres!“ wiederholte sie für sich, als ob ihr das von einem ganz besonderen, persönlichen Interesse sei. „Bist auch du Araber?“
„Nein. Ich bin Europäer.“
„Ein Europäer?“ fuhr sie auf. „Aus welchem Land? Verzeih, Effendi, daß ich dich frage!“
„Kennst du denn die Länder von Europa?“
„Auch ihre Völker. Mein Vater hat mich das gelehrt. Er weiß sehr viel, fast alles.“
„Ich bin Alemani (Deutscher).“
Da schlug sie die kleinen, außerordentlich schön gebauten Hände froh zusammen und rief aus:
„Ein Alemani! Wie ihn das freuen wird! Sobald ich ihm das mitteile, wird er dich lieben! Wenn er mich fragt, wie du heißt, was soll ich ihm da sagen?“
„Man nennt mich Kara Ben Nemsi.“
„Nemsi ist dasselbe wie Alemani. Mein Vater heißt Abd El Fadl (Diener der Güte), und ich, ich heiße Merhameh (Barmherzigkeit).“
„Wäret ihr beide es, die gestern abend und heute früh gesungen haben?“
„Ja. Kennst du das, was wir sangen?“
„Nein.“
„Es ist das Morgen- und Abendgebet von Dschinnistan. Wir singen sie beide täglich.“
„So kennst du Dschinnistan?“
„Es ist mein Vaterland. Das Geschlecht Fadl ist so alt, wie die Menschheit dort überhaupt. Mein Vater ist ein treuer Diener des Herrschers. Er wurde von ihm ausgesandt, um –“
Sie hielt plötzlich inne, als ob sie etwas gesagt habe, was sie nicht sagen dürfe, und fuhr dann fort:
„Nun wohnen wir jetzt hier auf dem Felsentor und warten, daß in Erfüllung geht, was uns verheißen wurde.“
Sie gab diesen Worten einen Ton, der mich zu der Frage drängte:
„Meinst du etwa eine Verheißung, die aus Sitara kommt?“
Da hob sie ihr Gesicht und ihre Augen mit dem
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