24 - Ardistan und Dschinnistan I
niederschreibe. Er sah sie an, trat einen halben Schritt zurück und sah sie wieder an. Sein Gesicht veränderte sich. Es wurde ernst, dabei aber weich und immer weicher. Sein Auge befeuchtete sich. Es nahm den mildesten und zartesten Ausdruck an, dessen es fähig war. Und doch strahlte es auch in Begeisterung auf. Es war, als ob er träume. Dann griff er nach dem Ärmel ihres weißen, leinenen Gewandes, küßte den Saum desselben und sagte, sich an mich wendend:
„Sie ist schön! Sie ist sehr schön, Sihdi! Unendlich schön!“
Sie errötete nicht, und sie antwortete nicht, wie ein anderes Mädchen wohl geantwortet hätte, sondern sie sagte ebenso ernst und ebenso aufrichtig wie er:
„Er sieht nicht mich; er sieht nur meine Seele; darum spricht er so!“
„Deine Seele?“ fragte er. „Ja, diese auch! Doch meinte ich zunächst nur die Gestalt. Grad so, wie du, muß Marah Durimeh, die Menschheitsseele, vor den Augen derer, die das Glück hatten, sie zu sehen, gestanden haben, als sie noch jung und von dem Schmerz des Lebens unberührt, in deinem Alter war!“
Da antwortete sie:
„Du küßtest mein Gewand. Dieser Kuß galt nicht mir, sondern ihr. Was von euch schön an uns gefunden wird, was euch an uns beglückt, veredelt und erhebt, das kommt von ihr. Ich sende ihr den heiligen Kuß, der ihr gehört, indem ich ihn dem gebe, der sie kennt.“
Sie trat schnell zu mir heran und drückte ihre Lippen auf den Saum meines Ärmels. Dann fuhr sie fort:
„Vater läßt euch fragen, ob er herunterkommen soll, oder ob ihr vorzieht, zu ihm hinaufzusteigen?“
„Wir steigen hinauf“, antwortete ich, „möchten aber unsere Pferde nicht in der Weise stehen lassen, daß jemand, der inzwischen kommt, sie sieht.“
„Ich kenne einen Ort, der sich sehr gut zum Versteck für sie eignet“, erklärte sie. „Er liegt ganz in der Nähe. Ich werde ihn Halef zeigen. Es genügt, daß er mit mir geht. Du aber, Effendi, steig voran! Der Weg ist nicht zu verfehlen. In kurzer Zeit holen wir dich ein.“
Ich nickte ihr zu, sah nur noch, daß Halef sich bückte, um wieder im Loch zu verschwinden und wandte mich dann ab, nach ihrem Willen zu tun.
Der Weg war, wie bereits gesagt, ein Zickzackweg, durch enge Risse und Klüfte zur Höhe hinauf. Indem ich ihm langsam folgte, dachte ich an das junge, schöne, unendlich sympathische Wesen, welches soeben in meinen Gesichtskreis getreten war. Sie hieß Merhameh, ‚die Barmherzigkeit‘, und gehörte dem uralten, berühmten Geschlecht der Fadl, zu deutsch ‚der Güte‘ an. Viele Söhne dieses Geschlechts sind erleuchtete Herrscher, bahnbrechende Gelehrte und berühmte Künstler gewesen. Wer die Geschichte der Menschheits- und Völkerentwicklung kennt, der weiß, wie groß die Zahl der bedeutenden und einflußreichen Männer gewesen ist, die Fadl, Ben Fadl oder Abd El Fadl geheißen haben. Und jetzt sollte ich so ganz unvermutet einen Abd El Fadl kennenlernen, der ein Abgesandter des Mir von Dschinnistan war und gegenwärtig mit seiner Tochter hier auf dem Felsentor wohnte! Welche Zwecke und Gründe hatte das?
Es fällt mir nicht ein, die Schönheit Merhamehs zu beschreiben; die wahre Schönheit hat ja eben das Erkennungszeichen, daß sie nicht beschrieben werden kann! Ich will nur sagen, daß sie nicht etwa nach Art wohlhabender Leute, sondern sehr arm gekleidet war. Sie ging barfuß, also wirklich so, wie ich vermutet hatte. Darum, und weil der Boden aus Geröll und nicht aus Sand bestand, hatte ich während des scherzhaften Suchens keine Fußspuren von ihr finden können. Ihr einfaches, orientalisches Gewand wurde von einem Ledergürtel zusammengehalten. Es bestand aus gewöhnlichem, billigem Linnen, war aber weiß und gänzlich fleckenlos, was ich bei der Seltenheit des Wassers in dieser Gegend besonders hervorzuheben habe. Ihr starkes, dunkles, welliges Haar war nicht geflochten, sondern wurde im Nacken von einer Schnur mit Blumen zusammengehalten und fiel von da wieder offen und in seltener Länge hernieder. Alles übrige, was an ihr zu erwähnen ist, wird man im weiteren Verlauf der Ereignisse kennenlernen.
Ich war noch nicht weit gekommen, so hörte ich Geräusche hinter mir. Als ich mich umschaute, sah ich Aacht und Uucht, meine beiden Hunde, die von Halef die Erlaubnis bekommen hatten, mir sogleich zu folgen. Sobald sie mich erreichten, fragten sie mit den Augen und den wehenden Ruten, ob sie voraneilen dürften; ich aber bat sie, indem ich sie streichelte, bei mir zu
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