247 - Der Kerker der Pandora
als ob sie nichts umhauen konnte.
Victorius rieb sich nachdenklich das Kinn. Wie auch immer: Ihm gegenüber verhielt sie sich weiterhin wie ein bissiges Tsebra. Wenn sie könnte, wie sie wollte, würde sie ihn wahrscheinlich persönlich an den Haaren aus Spekgulf hinaus schleifen.
Die Hoffnung auf eine Annäherung zwischen ihnen hatte er inzwischen aufgegeben. Doch irgendwie musste es ihm gelingen, eine Grundlage zu schaffen, auf der sie ihm gestatten konnte, regelmäßig Zeit mit seinem Sohn zu verbringen.
»Einen Saft, Prinz?«, unterbrach Nanda seine Überlegungen. Die hoch gewachsene dünne Frau mit dem verschmitzten Lächeln stand plötzlich neben ihm und reichte ihm ein Glas. Victorius stand auf und nahm es dankbar an. »Danke, Nanda. Ich habe Sie gar nicht kommen hören.«
»Tja, als Haushälterin ist Diskretion meine zweite Natur. Noch ein Stück Maisfladen, bevor die Herrin des Hauses zurückkehrt?«
»Ja, gerne.« Victorius grinste. Nanda erinnerte ihn mit ihrer trockenen Art an Doktor Aksela. Sie war vermutlich im gleichen Alter wie sie und trug ihr Herz auf der Zunge. Der Prinz beobachtete, wie sie ihre Einkäufe verräumte und sich dann daran machte, das Mittagessen vorzubereiten. »Gibt es etwas Neues von Rosalie?«
Über Nandas Gesicht huschte ein Schatten. »Leider nein.« Schmallippig häufte sie ein wenig Salat auf den Teller mit dem Fladen und brachte ihn zu Victorius. Er setzte sich damit auf die Holzbank neben der Hintertür. »Allerdings haben die Leute einen Erdriss in der Nähe Ihres Luftschiffes entdeckt. Zu klein, als dass Rosalie da hinein gestürzt sein könnte, aber groß genug, um für die Kinder gefährlich zu werden.«
Alarmiert lauschte der Prinz ihren Worten. Ein Erdriss in der Nähe seiner Roziere? Das hörte sich nicht gut an. Er würde ihn sich gleich morgen ansehen. »Tauchen hier öfter solche Risse auf?« wollte er wissen.
Nanda, die inzwischen in die Küche zurückgekehrt war, zuckte mit den Schultern. »Eigentlich nicht. Keiner kann sich das so recht erklären. Die Bürgermeisterin will den Spalt morgen zuschütten lassen.« Bei diesen Worten warf sie ihm einen neckischen Blick zu. »Soll bedeuten: Adieu, Prinz Victorius.«
Der Sohn des Kaisers, der sich eben einen Bissen des Fladens in den Mund gesteckt hatte, verschluckte sich beinahe. »Wie… was?«, mümmelte er mit vollem Mund.
»Ganz einfach: Salimata wird Sie auffordern, sich einen anderen Platz für Ihre Roziere zu suchen. Danach wird sie das Palisadentor verrammeln und Sie kommen höchstens noch hier rein, wenn Sie Ihren Ballonflieger auf dem Marktplatz landen.« Sie lachte.
Victorius würgte seinen Bissen herunter. Ihm war nicht nach Lachen zumute. Die Aussicht auf einen endgültigen Rausschmiss setzte sich wie ein Felsbrocken auf seine Brust. Wann würde er dann seinen Sohn wieder sehen? In ständiger fast kriegerischer Auseinandersetzung mit Sali einen Weg zu ihm finden zu müssen, deprimierte ihn. Nein, so konnte es nicht weiter gehen! Grimmig blickte er auf die Blumenrabatte im Garten, über denen die grauen Schatten der Abenddämmerung lagen.
»Lies«, krähte jetzt hinter ihm die Stimme des Kleinen. Ein Buch in der Hand, hüpfte Pilatre im Schlafanzug herbei. Victorius schaffte es gerade noch rechtzeitig, seinen Teller auf der Bank abzustellen, bevor sein Sohn ihm in den Schoss kletterte.
Nach wenigen Minuten lauschte das Kind der Stimme seines Papas. Da Bilder und Schrift des Buches kaum noch zu erkennen waren, erzählte Victorius eine eigene Version der Geschichte. Dabei ging es um ein schwanzloses Tsebra, das Kaiser der Tiere werden wollte.
Vater und Sohn waren so versunken in ihrer Tätigkeit, dass sie die Ankunft der Bürgermeisterin überhaupt nicht bemerkten. Salimata warf ihren Bediensteten einen vorwurfsvollen Blick zu. Allerdings unterbrach sie die Zweisamkeit der beiden nicht. Sie schickte ihre Mädchen aus der Küche und deckte den Tisch.
Nach einer Weile beendete Victorius seine Fabel und schlug das Buch zu. Der Kleine sah ihn nachdenklich an. »Bist du ein Kaiser?«
Der Prinz lächelte und strich ihm über seinen schwarzen Lockenschopf. »Nein, ich bin Prinz Victorius. Aber dein Großvater ist ein Kaiser. Kaiser Pilatre.«
Der Junge strahlte über das ganze Gesicht. »Dann bin ich ja Prinz und Kaiser«, freute er sich. »Weil, ich heiße ja Pilatre, und dann heiße ich noch Victorius.«
Diese Erklärung seines Sohnes überraschte Victorius. Verblüfft schaute er ihn an. Hatte
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