Koenigsblut - Die Akasha-Chronik
Der silberne Blick
Der kleine Vogel hüpfte zielstrebig durch das dichte Geäst der Eichen. Die Hitze des Julitages schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Er pickte einen Käfer auf, trippelte emsig auf einem breiten Ast hin und her, dann reckte er aufgeregt sein Köpfchen, als er eine Amsel erspähte. Zwitschernd flog er auf und ließ sich auf dem nächsten Baum nieder, wo er sein Spiel wiederholte. Das feuerrote Gefieder, das seinen winzigen Körper bedeckte, war ein greller Kontrast zu den Grüntönen der Laubbäume.
Ich beobachtete genau seine Bewegungen. Einen exotischen Vogel wie diesen hatte ich hier noch nie gesehen. Vielleicht war er jemandem davon geflogen? Wie eine Flamme glitt er durch das trockene Laub und schien Funken zu sprühen. Fasziniert von seinem leuchtenden Federkleid konnte ich den Blick nicht von ihm wenden, von dem Feuer, das in seinen Federn zu wohnen schien. Es sah aus, als ob eine Flamme in dem dürren Laub züngelte und brannte. Ich meinte schon die Hitze zu spüren, die sie ausstrahlte und die den ohnehin schon heißen Tag noch unerträglicher machte.
„Vorsicht, Selma?“ Liana riss mich am Arm zurück und ich landete unsanft auf dem Boden. Erschrocken sah ich, wie direkt vor mir kleine Flammen emporschossen und sich gierig in das trockene Reisig fraßen.
„Wie konnte das passieren?“ Sie sah mich erschrocken an.
„Ich habe nichts gemacht“, entgegnete ich panisch. Wieso rechtfertigte ich mich vor ihr? Oder tat ich es womöglich vor mir selbst? Nein, das kam nicht in Frage. Wie sollte ich ein Feuer ohne Streichhölzer anzünden können? Ich reckte den Kopf und versuchte, den roten Vogel zu erspähen, doch die Baumkronen über mir waren leer, nur der heiße Wind strich durch die Äste und bewegte ein paar trockene Blätter, die leise an ihren Ästen raschelten.
„Paul, es brennt“, schrie Liana und wandte energisch den Kopf, sodass ihre blonden Locken wild um sie herumflogen. Für ihre elf Jahre war sie klein, ich überragte sie schon seit einer Weile. Paul kam sofort zu uns gelaufen.
„Ein Feuer?“ Er beugte sich neugierig über den Waldboden und inspizierte genau die Flammen, die sich gemächlich ausbreiteten. In unserer Klasse war er derjenige, mit dem ausgeprägtesten Verständnis für naturwissenschaftliche Zusammenhänge und seine Erklärung kam prompt: „Vielleicht lag da irgendwo eine Scherbe und deswegen hat sich etwas entzündet“, sagte er. „Bei der Hitze ist das ja kein Wunder.“
„Egal wie es angegangen ist, jetzt müssen wir es löschen, sonst gibt es einen Waldbrand“, erwiderte ich und versuchte, in den knochenharten Boden eine Rinne zu wühlen, um dem Feuer seine Nahrung zu nehmen. Die Hitze in seiner Näher war mittlerweile schmerzhaft. Meine Haut war gerötet und meine Stirn feucht vom Schweiß. Ich sah mich fieberhaft nach einer Möglichkeit um, das Feuer endlich zu löschen. Auch Paul hatte sich auf die Suche nach einem Hilfsmittel begeben. In diesem Moment sprang die Flamme auf einen trockenen Kiefernzweig über und begann sich knisternd in ihn hineinzufressen.
„Los Liana, gib mir meine Jacke!“, schrie ich ihr zu und sie rannte sofort zu unseren Fahrrädern. In Windeseile war sie wieder da und drückte mir das Bündel Stoff in die Hand. Dann nahm sie einige Schritte Abstand. Ich warf die Jacke über die Flammen, bevor sie zu einem unbeherrschbaren Brand anschwellen konnten.
„Ist es vorbei?“ Liana trat zögernd näher, nachdem ich die Jacke wieder angehoben hatte. Vorsichtig lugte ich unter den hellen Stoff.
„Ja, es ist aus. Ich habe nur keine Ahnung, wie ich das meiner Großmutter erklären soll.“ Ich stöhnte und hob meine Jacke hoch, die mitten auf dem Rücken einen riesigen Brandfleck hatte.
„Brauchst du nicht, ich lass sie verschwinden und du sagst einfach, du hast sie in der Schule liegen lassen“, schlug Paul vor, der mit nackten Oberkörper vor mir stand. In den Händen hielt er sein T-Shirt, das er wie eine Tasche mit Sand gefüllt hatte.
„Nur zur Sicherheit“, sagte er und schüttete den Inhalt über die verkohlten Zweige.
„Cooler Plan!“ Ich nickte begeistert. Er schuldete mir ohnehin noch einen Gefallen, nachdem ich ihm die Telefonnummer von Shirley besorgt hatte. Ich spürte Lianas Unruhe hinter mir. Das Feuer hatte sie verängstigt, wieder einmal. Sie schien die Nervosität regelrecht auszudünsten. Sie war und blieb ein Angsthase, da konnte ich mir noch so viel Mühe geben, sie
Weitere Kostenlose Bücher