25 Stunden
denn in Harlem? Die machen mich alle, da oben. Wie bei Tom und Jerry, bloß dass ich Jerry bin. Ich brauch meinen Käse, Monty, ich brauch meinen Käse! Ich bin am Verhungern, Mann.«
Lange sagt keiner etwas, dann steht Monty auf und geht auf den Mann zu, immer näher, bis ihre Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt sind. »Du brauchst Abstand zu mir, Freundchen. Hast doch gehört, ich bin nicht mehr im Geschäft.«
Doyle schnuppert an Simons Schuhen, dann arbeitet seine Nase sich das Hosenbein hinauf. Simon tänzelt einen halben Schritt nach hinten, versucht von dem Hund wegzukommen, ohne ihn aufzuregen. »Was soll der Quatsch? Hast du Angst, ich lass dich auffliegen? Hey Mann, du kennst mich doch.«
»Du hörst nicht zu. Die haben mich erwischt. Schluss Ende. Aus. Also mach 'ne Fliege und geh heim zu deiner Anwaltsmama oder hoch zur Hundertzehnten meinetwegen. Aber lass mich verdammt noch mal in Ruhe.«
Simon blinzelt und stolpert rückwärts, versucht zu lachen, sieht über die Schulter nach hinten, schau Doyle an, reibt sich mit dem Handrücken über die Nase. »Fünf Jahre lang bin ich jetzt zu dir gekommen. Alles klar, kein Problem. Ich geh schon. Kein Grund, fies zu werden.«
Der Hund will laufen; er zieht an der Leine, und Monty folgt ihm an den Zementschachbrettem vorbei, wo die beiden im Sommer zwischen den Kiebitzen gestanden und sich die Duelle angesehen haben. Little Vic hat hier immer gespielt; Little Vic, der auf Riker's Island Großmeister gewesen ist, bis ein Russe wegen Fälschung verknackt wurde und ihn in vier Spielen hintereinander fertig gemacht hat. Aber heute drückt hier niemand seine Schachuhr; zu früh für einen Wintermorgen. Die Frührentner sind alle noch beim Futtern.
Monty und Doyle spazieren westwärts, bleiben an einem Zaun stehen und sehen sich ein Basketballspiel an. Die Teenager nutzen den warmen Tag für ein schnelles Spielchen vor der Schule. Doyle schnuppert an Pfählen, die nach der Pisse von gestern stinken. Monty taxiert die Spieler schnell, zutreffend und verächtlich. Der Point Guard bringt ums Verrecken keinen Ball vernünftig ins Spiel, der Shooting Guard kann nicht links Vorbeigehen, der Dicke weiter drüben lässt jeden Wurf zu früh durchblicken. Monty fällt ein Samstag ein, an dem dieser Platz ihm und vier Freunden gehört hat, an dem sie jedes einzelne Spiel gewonnen haben, bis die Verlierer sich frustriert davonmachten, ein Nachmittag im August, an dem jeder Sprungwurf flutschte und Monty die Positionen seiner Mitspieler ohne Hinsehen wusste und ihnen den Ball so leicht Zuspielen konnte wie nur irgendwas.Mann und Hund gehen die Stufen zur Senke des Carl- Schurz-Parks hinab. Ein schwarzes Stangenviereck um zwei Reihen verkümmerter Gingko-Bäume herum, deren Blätter wie japanische Fächer geformt sind. Auf den umliegenden Bänken sitzen alte Leute und genießen das Wetter, werfen den Vögeln Krumen zu, lesen die hinteren Seiten der Post, kauen Kartoffel-Knisches. Schwarze Frauen schieben weiße Kleinkinder in Plastiksportwagen spazieren. Auf den Hängen um die Senke herum dienen schroffe, bunt bekritzelte Felsen als Gedenktafeln:
MIKO+LIZ, 84 BOYS, THE LOW- LITE CRUZERS, SANE SMITH.
Sane Smith war hier. Sane Smith war überall. Sane Smith ist tot, ist die Brooklyn Bridge runtergesprungen. So hat Monty jedenfalls gehört. Als der umtriebigste der New Yorker Graffiti-Künstler hat Sane Smith seinen Namen überall auf Reklametafeln und Straßenüberführungen und Wassertanks geschrieben, von Far Rockaway bis zum Mosholu Parkway, von der Sheepshead Bay bis zu den Forest Hills, von New Lots bis nach Lenox. Die werden seinen Namen noch in hundert Jahren von irgendwelchen Mauern schrubben.
Doyle bleibt stehen, um die Schätze in einem Abfalleimer aus orangenem Maschendraht zu inspizieren, aber Monty zieht ihn weiter. Während sie an der East End auf Grün warten, kachelt ein Feuerwehrwagen vorbei. Die Männer an Bord sehen grobknochig aus und zuversichtlich, wie sie dort einsatzbereit kauern in ihren hohen Stiefeln. Einer mit Heck- Drehleiter, denkt Monty und sieht zu, wie der rote Wagen Richtung Norden rast. Du hättest einen tollen Feuerwehrmann abgegeben, sagt er sich. Aber nein, stattdessen führt er in Yorkville seinen Hund spazieren und sieht sich alles genau an, versucht jede Einzelheit aufzunehmen: dass sich der frische Asphalt wie schwarze Butter auf der Straße ausbreitet, dass die Rücklichter in der Dämmerung aufblitzen und tanzen, dass
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