25 Stunden
setzt ihn auf das Sofa und läuft ins Badezimmer, durchwühlt den Medizinschrank nach den Sachen, die sie braucht, füllt ein Glas mit kaltem Wasser und geht zu ihm zurück, sorgt dafür, dass er etwas trinkt. Er versucht erneut, etwas zu sagen, aber sie schüttelt den Kopf, nimmt ihm das Glas ab und stellt es auf den Couchtisch. Vorsichtig hebt sie ihm die Arme über den Kopf und zieht ihm den schwarzen Pullover aus, knöpft ihm das Hemd auf und schiebt es ihm von den Schultern. Sie fährt kurz mit den Händen seine Rippen entlang und schaut dabei, ob er das Gesicht verzieht.
In der Küche holt sie einen Waschlappen, füllt eine Schüssel mit warmem Wasser und Flüssigseife, eilt zurück ins Wohnzimmer und setzt sich neben ihn. Dann fängt sie vorsichtig an, ihm das Gesicht zu waschen, wartet, als er zurückzuckt, und beugt sich dann wieder vor, um jede Platzwunde, jeden Kratzer abzutupfen. Als sie den Waschlappen über der Schüssel auswringt, fallen Blutstropfen ins Wasser und blühen auf. Nachdem sie jede Wunde zufrieden stellend gereinigt hat, öffnet sie eine Flasche Hamamelis-Extrakt und tränkt einen Wattebausch damit. Sie drückt die Watte leicht gegen seine gespaltene Augenbraue; Monty zuckt zusammen, krallt die Hände um die Kanten der Sofakissen. Als sie fertig ist, liegen acht gebrauchte Wattebäusche auf dem Couchtisch. Sie deckt die Wunde mit Mull ab. Das muss genäht werden, denkt sie. Sie stellt sich vor, wie ein Gefängnisarzt grob ein paar Stiche setzt und dabei mit der Schwester herumwitzelt. Werden sie Monty so lange mit Handschellen an den Tisch fesseln?
Montys Kopf fällt gegen die Sofalehne zurück. Sein zerschlagenes Gesicht ist von Sonnenstrahlen umkränzt. Die Nacht ist vorbei, und er schläft. Sie sieht zu, wie er atmet, wie sich seine Brust hebt und senkt, wie unten an seiner Kehle eine Ader pulsiert. Sie schaut zur Wanduhr. Sie muss ihn wecken, ihn in saubere Sachen stecken, nach unten bringen und ein Taxi auftreiben. Sie sieht zu, wie er träumt, seine Augenlidern flattern, seine Finger krümmen und strecken sich, greifen nach etwas. Noch eine Minute, dann weckt sie ihn. Gib ihm noch eine Minute.
24
Als Monty aufwacht, steht sein Vater vor ihm und ballt die Fäuste.
»Wer hat dir das angetan?«
Monty greift nach dem Wasserglas und zuckt zurück, als er mit der Kante einen abgebrochenen Schneidezahn berührt. Der Schmerz kommt wie eine Schockwelle, heiß und sengend. Monty lässt den Kopf hängen und wartet, bis die Nerven sich beruhigt haben, dann hebt er das Glas wieder an die Lippen, vorsichtiger diesmal, und trinkt. Als er fertig ist, nimmt Naturelle ihm das Glas ab und geht in die Küche, neues Wasser holen.
»Wer hat dir das angetan, Monty?«, fragt sein Vater noch einmal.
»Wie spät ist es?« Monty kann die Uhr an der gegenüberliegenden Wand sehen, erkennt die Zeiger aber nicht. Das Zimmer ist ein Durcheinander aus verschwommenen Licht- und Schattenflecken. Das Gesicht seines Vater ist ein helles Oval, in dem sich ein Spalt öffnet, wenn er etwas sagt.
»Ich fahr dich ins Krankenhaus«, sagt Mr. Brogan. »Wir können ihnen sagen...«
»Nein«, entgegnet Monty. Er legt die Hände auf die Sofakissen und stößt sich ab. »Ich muss los.«
Naturelle kommt mit einem Glas Wasser zurück. Sie wartet ohne einen Laut, den Blick auf Montys Hände gerichtet.
»Wie spät ist es?«, fragt er noch einmal. Er zieht sein Hemd an und knöpft es falsch zu; Naturelle stellt das Glas auf den Couchtisch und hilft ihm. Sie gibt ihm seinen Pullover, und er zieht ihn an, dann will er ins Schlafzimmer und knallt mit dem Schienbein an den Tisch.
»Monty«, sagt Mr. Brogan. Monty bleibt stehen und schaut seinen Vater an, aber Mr. Brogan sagt nichts weiter, also geht Monty in sein Zimmer, sieht sich das ungemachteBett an, die Jogginghosen auf dem Boden, die Schale Pflaumen auf dem Nachttisch, die leere Schachtel Zigaretten daneben. Er zieht sich die durchweichten Schuhe aus und holt ein paar alte Arbeitsstiefel aus dem Schrank, schlüpft hinein, schnürt sie zu.
Er holt den leeren Koffer unter dem Bett hervor und packt ein, was er am Tag seiner Freilassung tragen wird: seinen mittemachtsblauen Anzug, fein säuberlich zusammengelegt, seine italienischen Wildlederschuhe mit den handgeschnitzten Schuhspannern aus Zedemholz, ein schwarzes Seidenhemd mit silbernen Viertelmonden als Knöpfen, Boxershorts, schwarze Socken. Er packt den alten spanischen Rosenkranz ein, den Naturelle ihm vor zwei
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