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25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Benioff
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Stufen hinauf, die in dem tiefen Schnee und bei dem schwachen Licht kaum auszumachen sind, und dann einen Weg entlang, der sich an Rotahombäumen, Latemenpfählen und Parkbänken vorbeiwindet. Als sie beim Spielplatz ankommen, berührt Jakob den Ellbogen Slatterys und zeigt: Hier will er also mit uns hin. Sie kennen die Geschichte, wie Monty und Naturelle sich hier bei den Schaukeln zum ersten Mal begegnet sind. Aber Monty verlangsamt nicht einmal; er führt sie an den Schaukeln, den Sandkästen, den Klettergerüsten, den Basketballplätzen und der Rollschuhbahn vorbei auf die meilenlange Uferpromenade am East River.
    Jakob ist noch nie nachts auf der Promenade gewesen. Nun begreift er, warum Monty hierher wollte. Am anderen Ufer liegt Queens, und Queens vor Sonnenaufgang ist wunderschön: die blinkenden roten Warnlichter für die Piloten, das glühende Pepsizeichen auf dem Abfüllbetrieb, die weißen Wolken, die über den Schornsteinen stehen wie sich aufplusternde Lampengeister, die den guten Menschen vom Astoria gleich drei Wünsche erfüllen. Hinter Queens beginnt der Himmel gerade aufzuhellen, im Osten liegt ein blassblaues Band vor dem Horizont, verdunkelt sich nach oben hin zu der Schwärze über Manhattan.
    Jakob fegt den Schnee vom Eisengeländer, lehnt sich dagegen und starrt in den Fluss. Im Wasser wabert eine Reihe gelber Lichter, und Jakob überläuft ein Schaudern, als er sich vorstellt, dass dort unten am Grund eine Legion Ertrunkener still mit ihren Fackeln Wache steht. Er weiß, dass es sich nur um das Spiegelbild der Lampen an den Haltetauen der Queenboro Bridge handelt, aber Jakob wird das Bild von den aufgeblähten, augenlosen Leichen, die unten im Wasser warten, nicht wieder los.
    »Schaut mal, der Leuchtturm«, sagt Monty und zeigt mit der behandschuhten Hand zu dem Steinturm an der Nordspitze von Roosevelt Island. »Sie sollten ihn reparieren, ihn wieder in Ordnung bringen. Wär toll, hierher zu kommen, und er leuchtet. Nirgendwo Schlepper zu sehen. Die Mannschäften sind wahrscheinlich in Staten Island eingeschneit.« Monty lacht. »Ich denk immer, die Leute, die auf den Schleppern arbeiten, wohnen in Staten Island. Keine Ahnung, warum.«
    »Die Typen machen gutes Geld«, sagt Slattery, der jetzt auch am Geländer steht. »Die haben eine der besten Gewerkschaften der Stadt. Die und die Kranführer.«
    »Wäre gut, auf einem Schlepper zu arbeiten«, sagt Monty. »Lastkähne rumfahren, den ganzen Tag draußen auf dem Fluss sein. Irgendein Spiel im Radio einstellen und rauchen und zugucken, wie die Stadt vorbeizieht.«
    Slattery schüttelt den Kopf. »Brauchst dir nur einmal zu viel die Stadt an zu gucken, und schon fährst du glatt in sie rein.«
    »Also, wie sieht7 s aus?«, fragt Monty und dreht sich zu Jakob um. »Bist du bereit für Mr. Doyle?«
    Jakob sieht zu dem Hund hinüber, der sich im Schnee wälzt und mit den Pfoten strampelt. »Der Schnee gefällt ihm.«
    »Er wird dir gut tun, Jake. Damit bricht schon mal keiner in dein Apartment ein, das steht fest. Und die Frauen stehen auf Doyle. Wirst du schon sehen, wenn du mit ihm spazieren gehst. Ist ein ganz bestimmter Typ Frau, der auf Doyle anspricht. Die handfeste Sorte. Brauchst sie dir bloß anzugucken. Ist die Sorte Frauen, die auf zähe alte Kerle steht, die einiges hinter sich haben. Wie spät hast du's?«
    »Viertel nach sieben.«
    »Viertel nach sieben.« Monty legt einen kurzen Trommelwirbel auf dem Eisengeländer hin und schwingt sich im nächsten Moment hinüber. Er steht auf der schmalen Kante, die Kniekehlen am Geländer, den Fluss unter sich.
    »Warte«, sagt Slattery und hebt die Hände. »Was hast du vor? Monty, was hast du vor?«
    Doyle - bäuchlings im Schnee, hechelnd - starrt zu seinem Herrchen hinauf. Jakob steht der Mund offen, ihm bleiben die Worte in der Kehle stecken.
    Monty sieht sich das schwarze Wasser an, das unten vorbeifließt. »Was meint ihr, gute zehn Meter bis nach unten?
    Was macht ihr euch da Sorgen? Ich kann mich nicht umbringen, indem ich da runterspringe. Außer ich erfriere.«
    »Komm«, sagt Slattery. »Komm, gib mir die Hand. Lass den Quatsch.«
    »Lass den Quatsch? Ich soll also ernst sein, ja?« Monty stößt mit dem Schuh Schnee über die Kante. »Ich geh da nicht so rein. Da bin ich doch ein gefundenes Fressen für die.«
    »Komm schon«, sagt Slattery. »Du rutschst noch aus und brichst dir den Hals.«
    Für einen langen Moment sagt Monty nichts, starrt nach Queens hinüber. Schließlich

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