2574 - Das Lied der Vatrox
Beinen, und sie verlor fast die
Konzentration. Die Intensität dieses Geräusches überlagerte selbst das Brüllen des Vulkans, und
Caha schrie vor Schmerz.
Sie hatte das Gefühl, als würde brennende Lava direkt in ihre Gedanken gegossen. Noch nie
hatte sie derartige Pein erlebt. Die Auswirkung war viel stärker als angenommen, sie verstand es
nicht. Es lähmte sie, sie war völlig ausgeliefert, konnte sich nicht zurückziehen.
»Verflucht, Caha, beweg dich endlich vorwärts, oder wir sind verloren!«, brüllte Regam ihr ins
Ohr und gab ihr eine Ohrfeige.
Das brachte sie so weit zur Besinnung, dass sie wieder selbst laufen konnte. In der Ferne,
durch all den Rauch, sah sie vor dem Himmel einen dunklen Punkt näher kommen.
»Da sind sie!«, rief sie. »Los, Regam!«
Sie löste die Hand von ihm und lief mit erhobenen Armen schreiend auf den Gleiter zu, der ihr
entgegenkam.
Dann hörte sie einen dumpfen Schlag, und die Wucht einer Druckwelle riss sie von den Beinen.
Caha stürzte und überschlug sich, etwas traf sie an der Schläfe, und sie verlor das
Bewusstsein.
*
»Ich hoffe, du hast dich gut erholt«, sagte die Oberste Mentalin und bot Caha einen Platz ihr
gegenüber an. Auf dem Tisch standen Erfrischungen, und die Ordensschwester griff zu.
»Ja, danke«, antwortete sie. Ihre rechte Hand war eingebunden, am Kopf klebte ein
Heilpflaster, und sie brauchte noch eine Weile einen Stock. Doch ihr und der befruchteten Eizelle
in ihrem Inneren, aus der einst Regams Sohn werden würde, ging es gut.
Regam würde das Aufwachsen seines Sohnes nun nicht mehr miterleben, aber durch seinen
männlichen Nachkommen war er immer noch da. Caha würde dem Kind den Namen seines Vaters geben, in
Erinnerung an ihn.
»Wie kam es zu dieser extremen Reaktion?«, fragte sie die Anführerin des Vamu- Ordens.
»Das nach Süden verlaufende Beben verursachte einen Riss. Die nächstgelegene Stadt befand sich
genau über der sich auftuenden Spalte und stürzte hinein. Es gab zehntausend Tote. Das konnten
wir nicht vorhersehen.«
»Verstehe. Das war jedenfalls ein Glücksfall, denn dadurch wurde unsere Theorie
untermauert.«
»Aber wir sind der Lösung keinen Schritt näher gekommen.«
»Noch nicht. Doch meine Aufzeichnungen werden jetzt die Basis für die weiteren Schritte
bilden.«
»Du hast Glück gehabt. Der Stein hätte genauso gut dich unter sich begraben können. Deshalb
werden wir in Zukunft von solchen Experimenten absehen«, erklärte die Oberste Mentalin. »Vor
allem du wirst dich nie wieder in solche Gefahr begeben, du bist zu wichtig.«
»Ja, es war mir eine Lehre«, beschwichtigte Caha. »Ich möchte außerdem darum bitten, dass
meine Töchter in eure Obhut kommen und mit der Ausbildung beginnen. Wir haben in Gedenken an
Regams Tod einen Kleinkreis gebildet, und die beiden haben sich als sehr talentiert erwiesen. Sie
haben auch erklärt, dass sie sich bereit fühlen.«
»Einverstanden.«
Caha atmete befreit durch. Sie war aus dem Schatten der Urahnin getreten. Das war jedes Opfer
wert, denn nun würde es mit gewaltigen Schritten vorwärtsgehen.
7.
Tag L.O.T., Nachmittag: Präsentation 3
Das Licht ging an. Betroffene Stille herrschte.
Lucba Ovichat hatte damit gerechnet, deswegen sagte sie diesmal nichts, und das war auch nicht
notwendig.
Sie wunderte sich nicht, als Olea wieder zu ihr kam. »Bist du sicher, dass dies eine
Simulation ist?«
»Allerdings. Warum?«
»Weil es ... zu echt ist. Und ... ich weiß auch nicht. Das alles über den Orden ist
doch wahr, oder? Ich meine, wir alle wissen, dass der Vamu-Orden sehr alt ist, aber bisher war
über seine Arbeit kaum etwas bekannt, mit Ausnahme der Führung der Kreise, der mentalen
Ausbildung ...«
»Ich halte es für die Wahrheit«, antwortete Lucba. »Das haben meine Forschungen ergeben. Doch
ich bin offen gestanden selbst immer wieder erstaunt über das Ergebnis und diese Intensität.«
Oleas Ohrmuscheln bliesen sich leicht auf. »Was ich noch wissen will ... worauf willst du
hinaus?«
»Auf nichts weiter, Olea. Es ist nicht an mir, moralische Urteile zu fällen. Ich bin
Historikerin, ich will mit dem Wissen über die Vergangenheit den Weg in die Zukunft weisen. Ich
bin der Wahrheit verpflichtet.«
»Das ist wirklich so passiert?«
»Du kannst dich darauf verlassen.«
»Großartig. Diese Frau war bewundernswert.«
»Ja.« An der Stimmung konnte Lucba spüren, dass mindestens die
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