2574 - Das Lied der Vatrox
Wochen später
ging sie mit der ersten Tochter schwanger.
»Sehr gut!«, lobten die Hohen des Ordens. »Eine weitere Schwester wird geboren, um der
Gemeinschaft des Volkes zu dienen.«
Das brachte Caha sofort wieder in Stimmung, doch sie musste sich bis nach der Geburt gedulden,
um auch daraus eine Frucht zu ziehen. Bis dahin war es gewiss nicht von Nachteil, auch Regam in
Stimmung zu halten.
*
»Und was gibt es hier so Wichtiges für den Orden?«, fragte Regam hartnäckig weiter, während
sie den steilen, schmalen Pfad nach unten ins Gebirgsdorf stapften. Er schlug die Arme um sich,
sein Atem dampfte in keuchenden Stößen aus ihm. Regam war alles andere als ein Naturbursche, er
war Techniker durch und durch.
»Möglicherweise ist hier eine Variante des Gedankenlesens aufgetreten, und ich soll zuerst
Kontakt aufnehmen, bevor der Orden tätig wird«, log Caha.
Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Der Vamu-Orden hatte eine bestimmte Theorie entwickelt,
und sie sollte diese Theorie in der Praxis überprüfen. Das erforderte Opfer und nicht zum ersten
Mal. Diesmal vielleicht sogar ihres.
Der Berg, den sie hinabstiegen, war von besonderer Art. Es handelte sich um einen Vulkan, der
immer noch aktiv war. Nicht sehr häufig, der letzte große Ausbruch lag achttausend Jahre zurück.
Entsprechend sorglos lebten die Siedler in dem Dorf an dem Hang dort unten. Sie verfügten nicht
einmal über ein Frühwarnsystem.
Darum war Caha dankbar, denn so wussten sie nicht, dass ein Ausbruch unmittelbar bevorstand.
Dass der Vulkan rauchte und qualmte und kleine Mengen Lava ausspuckte, war nichts Ungewöhnliches,
das kam mehrmals im Jahr vor. Niemand achtete mehr darauf.
Aber diesmal würde es zu einer größeren Eruption kommen, das hatten die Messungen ergeben.
Und das Dorf sollte es erwischen. Es wurde absichtlich nicht gewarnt oder gar evakuiert.
Andernfalls konnte die Theorie nicht überprüft werden. Vorher musste Caha sogar noch einige
Befragungen durchführen, um den mentalen Status festzuhalten.
»Und warum bin ich dabei?«, murrte er.
»Ich dachte, du wolltest dabei sein?«, gab sie erstaunt zurück.
»Hier? Keinesfalls, und das weißt du!«
»Nun, dann wollte ich dich eben gern dabeihaben.«
Wahrscheinlich stimmte das. Caha war hin- und hergerissen, es war für sie wie eine Prüfung.
Einerseits sah sie die Zeit der Trennung gekommen, andererseits vermisste sie Regam schon allein
bei dem Gedanken daran, ihn nicht mehr bei sich zu haben. Wie die meisten männlichen Vatrox war
er aufmerksamer und sensibler als jede Frau, mit der Caha zu tun hatte, und er hatte keine
Schwierigkeiten, ihre Autorität anzuerkennen. Das war für ihn gesellschaftliche Tradition.
»Wir sollten ein drittes Kind bekommen«, sagte sie unvermittelt.
Er wäre beinahe gestürzt. »Was ... wie ...?«
»Ich meine es ernst. Du hast dir einen Sohn gewünscht, du sollst ihn bekommen.«
Sie hatte ihr Soll erfüllt, also warum nicht? Vielleicht wies auch ein männlicher Nachkomme
gute Anlagen auf? Danach konnte es ja noch einmal eine Tochter werden. Das würde Caha der
Entscheidung entheben, ob sie sich von Regam trennen sollte oder nicht, denn die kleinen Kinder
brauchten ihren Vater genauso wie die Mutter. Und sie wären ein Puffer zwischen den Eltern.
Mit Schwangerschaften hatte Caha keinerlei Schwierigkeiten, im Gegenteil, es gefiel ihr sogar.
Sie hätte auch nichts gegen zehn Geburten einzuwenden, solange sie dabei Regams nicht überdrüssig
wurde.
»Aber ... du meinst doch nicht hier ... oder?«, stammelte Regam fast verzweifelt. »Also, an
diesem furchtbaren Ort könnte ich niemals in Stimmung kommen!«
»Ich schon«, erwiderte sie. Ihre Lippen waren bereits um fünfzig Prozent angeschwollen.
Regam stierte auf ihren Mund, und sie konnte sehen, wie seine Halsschlagader pochte. »Oh ...«,
machte er. »Ddas ist... etwas anderes.«
Das wird schon, sandte sie ihm befriedigt. Dies war ein trister Ort, da hatte Regam
völlig recht. Ein wenig Abwechslung konnte nicht schaden.
Und seine Laune besserte sich erheblich, als er das begriff.
*
Vor dem Genuss stand die Arbeit.
Caha verbrachte den restlichen Tag damit, jeden einzelnen Dorfbewohner zu befragen,
dokumentierte alles und fasste das Ganze kurz vor dem Aufbruch zu einem Bericht zusammen, den sie
an das Ordenshaus in Destita schickte.
Wollt ihr das wirklich tun?, fragte sie noch einmal.
Unbedingt, kam die Antwort prompt
Weitere Kostenlose Bücher