26 - Die Sklavenkarawane
europäische Jäger sich nicht scheut, dem Löwen ganz allein gegenüberzutreten, während er das fürchterliche Raubtier sogar am liebsten des Nachts an der Tränke aufsucht, um es mit der sicheren Kugel zu erlegen, hält der Araber das nicht nur für eine außerordentliche Kühnheit, sondern geradezu für Wahnsinn. Hat der Löwe die Herden eines arabischen Duar (Zeltdorf) so gelichtet, daß den Leuten doch endlich die Geduld vergeht, so machen sich alle wehrfähigen Individuen auf, ihn zu erlegen. Das geschieht natürlich am hellen Tage. Man rüstet sich mit allen möglichen Waffen, sogar mit Steinen, betet die heilige Fatiha und rückt dem Löwen vor sein Lager, welches gewöhnlich sich zwischen Felsen befindet, die von dornigem Gestrüpp umgeben sind.
Nun beginnt einer, welcher sich durch besondere Sprachgewandtheit auszeichnet, dem Tier in höflichen Ausdrücken mitzuteilen, daß man wünscht, es möge die Gegend verlassen und die Rinder, Kamele und Schafe eines anderen Dorfes verspeisen. Das ist natürlich ohne Erfolg. Es wird ihm der Beschluß der Dorfältesten nun in dringenderer, ernsterer Weise zu Gehör gebracht – ebenso umsonst. Darauf erklärt der Sprecher, daß man jetzt gezwungen sei, gewaltsame Maßregeln zu ergreifen, und man beginnt, so lange mit Steinen nach dem Dickicht zu werfen, bis der aus seinem Tagesschlummer aufgescheuchte Löwe erscheint, indem er stolz und majestätisch hinter den Felsen und aus dem Gestrüpp hervortritt. In diesem Augenblick schwirren alle Pfeile, sausen alle Wurfspeere und krachen alle Flinten. Dabei ertönt ein Schreien und Heulen, daß der Löwe, wenn er nur ein wenig musikalisches Gehör hätte, augenblicklich davonrennen würde.
Keiner hat sich die Zeit genommen, richtig zu zielen. Die meisten Geschosse gehen an dem Tier vorüber; nur einige treffen, indem sie ihn leicht verwunden. Da sprühen seine Augen Feuer – ein Sprung, und er hat einen Jäger unter sich liegen. Wieder krachen die Schüsse. Der Löwe, jetzt schwerer verwundet, holt sich noch ein zweites, ein drittes Opfer, bis er von den Geschossen, von denen keins wirklich tödlich traf, ganz durchlöchert tot zusammenbricht.
Nun aber ist es aus mit dem Respekt, mit welchem er vorher angeredet wurde, denn er ist tot und kann keine Beleidigung mehr rächen. Man wirft sich auf ihn; man tritt ihn mit Füßen und schlägt ihn mit Fäusten; man speit ihn an und besudelt sein Andenken, seine Vorfahren und Verwandten mit Schimpfwörtern, von denen die arabische Sprache einen fast unerschöpflichen Schatz besitzt.
Der Fremde lächelte ein wenig über den Bericht des Scheiks. Es war ein Lächeln, welches bekundete, daß er sich gewiß nicht von dem ‚Herrn mit dem dicken Kopf‘ und seiner Familie hätte ‚auffressen‘ lassen.
Diese kurze Unterhaltung hatte stattgefunden, während man aufbrach. Dies geschieht nicht so leicht, wie der Europäer denken mag. Hat man Pferde als Reittiere, nun, so steigt man einfach in den Sattel und reitet davon. Bei den Kamelen aber ist es anders, besonders bei den Lastkamelen. Diese sind keineswegs die geduldigen Tiere, als welche sie in zahlreichen Büchern beschrieben werden. Sie sind vielmehr faul, bösartig und heimtückisch, ganz abgesehen von ihrer natürlichen Häßlichkeit und dem unangenehmen Geruch, den sie verbreiten. Dieser letztere ist so widerlich, daß es Pferde verschmähen, eine Nacht neben Kamelen zuzubringen. Das ‚Schiff der Wüste‘ ist ein bissiges Vieh; es schlägt vorn und hinten aus, hat keine Anhänglichkeit und besitzt eine Indolenz, welche nur von seiner Rachsucht noch übertroffen wird. Es gibt Tiere, denen sich kein Europäer nähern darf, ohne in Gefahr zu geraten, gebissen oder unter die Füße getreten zu werden.
Wahr ist's freilich, daß das Kamel sehr genügsam und ausdauernd ist, aber die außerordentlichen Leistungen, von denen man in dieser Beziehung gefaselt hat, beruhen auf Übertreibung. Kein Kamel vermag länger als drei Tage zu dürsten. So lange hält der Wasservorrat seines Magens aus, nicht länger. Wird es nach dieser Zeit nicht getränkt, so legt es sich nieder und ist selbst durch die grausamste Behandlung nicht wieder auf die Beine zu bringen. Es bleibt liegen, um zu verschmachten.
Ebenso ist es eine Lüge, daß der Beduine, wenn ihm das Wasser ausgeht, sein Leben rettet, indem er sein Kamel ersticht, um das in seinem Magen befindliche Wasser zu trinken. Der Magen eines geschlachteten Kamels enthält kein Wasser, sondern
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