274 - Die dunkle Seite des Mondes
dass sie gerade einen großen Fehler beging.
»Ausgezeichnet«, sagte der Ratssprecher noch einmal. »Dann kann ich ja die Männer aus Ihrer Wohnung zurückbeordern.«
Damit ließ Cody Pierre Saintdemar den Kristall in einen Trichter neben dem Schreibtisch fallen. Ein kurzes Brummen ertönte, dann regnete unten Kristallstaub in einen Auffangbehälter.
Chandra sprang auf. »Herr Saintdemar! Was tun Sie denn da?«
»Ich vernichte mein Eigentum«, antwortete er, ohne dabei von seiner gutmütigen Sanftheit zu verlieren. »Gerne will ich Ihnen auch noch Ihre Frage beantworten: Natürlich war Samantha für unseren Plan besser geeignet. Aber Braxton haben wir gebraucht, weil sein Wort als Kommandant dieser Mission mehr Gewicht besitzt. Außerdem hätte er die Besatzungen des Raumschiffs und der Mondstation leichter an einem Ort versammeln können, um sie auf einen Schlag zu töten. Allerdings habe ich Braxton nie vollständig vertraut. Ich konnte nicht riskieren, dass er nach seiner Rückkehr zum Mars mit seiner Tat nicht zurechtkommt und alles ausplaudert. Deshalb habe ich Sam als Rückversicherung mitgeschickt.«
Chandras Mund trocknete aus. »Sie… Sie gewissenloser Mistkerl. Und jetzt, wo Sie mir alles erzählt haben, werden Sie mich auch töten, richtig?«
Saintdemar lachte. »Wo denken Sie hin? Wir sind keine skrupellosen Mörder, Chandra, auch wenn Sie uns dafür halten. Alles, was wir tun, geschieht im Interesse des Roten Vaters. Ihr Tod wäre völlig unnötig. Sie haben keinerlei Beweise gegen mich oder ProMars in der Hand. Niemand glaubt Ihnen. Das Beste wäre, Sie gingen jetzt nach Hause. Und dort sollten Sie darüber nachdenken, dass unser Plan gar nicht zur Ausführung kam. Wir wissen nicht, wie sich diese Tragödie auf dem Mond ereignen konnte. Aber wir alle haben gesehen, wer schuld daran war: ein Mensch! Einer von denen, die Sie Ihre Freunde nennen. Der Tag wird kommen, an dem auch Sie einsehen, dass wir nur das Beste für den Mars wollen!«
»Niemals!«, spie sie ihm entgegen.
Dann rannte sie aufschluchzend aus der Wohnung.
***
Mit hängendem Kopf stand Chandra vor dem Schreibtisch der Präsidentin. Sie kam sich vor wie ein ungehorsames Kind, das soeben eine Gardinenpredigt von ihrer Mutter erhalten hatte. Dabei war Maya gerade einmal vier Marsjahre älter als sie.
Unter Tränen hatte Chandra ihr alles erzählt. Sie hatte auf Trost, Verständnis und Kampfgeist gehofft, stattdessen aber nur Vorwürfe über sich ergehen lassen müssen. Mayas Gesicht war rot vor Wut.
Die Präsidentin deutete auf ein Dokument vor sich. »Weißt du, was das ist?«
Chandra schüttelte den Kopf. Sie brachte kein Wort heraus.
»Das ist ein Erlass, den ich auf Betreiben von ProMars unterschrieben habe. In ihm wird verfügt, dass der Mars die Politik der Erdnähe aufgibt und aus Sicherheitsgründen nie wieder zur Mondstation zurückkehrt.«
»Was?«, quetschte Chandra nun doch hervor. »Wie kannst du so etwas unterschreiben?«
»Wie ich so etwas unterschreiben kann? Die Frage muss lauten, wie du mir mit deinem unbedachten Vorgehen so in den Rücken fallen konntest. Mir blieb doch gar nichts anderes übrig, als dem Antrag stattzugeben. Hätte ich es nicht getan, hätte die Organisation Neuwahlen angestrebt - und nach deinem Auftritt hätte sie die wohl auch durchsetzen können. Wenn ich im Amt bleiben will, um mich wenigstens den weiteren Zielen von ProMars in den Weg zu stellen, muss ich zumindest hinsichtlich der Abkehr von der erdnahen Politik Zugeständnisse machen.«
»So kenne ich dich gar nicht!«, beschwerte sich Chandra. »Du lässt dich doch sonst nicht unter Druck setzen! Und jetzt verhältst du dich wie eine konventionelle Politikerin.«
»Weil du dafür gesorgt hast, dass die Öffentlichkeit nicht mehr ProMars mit Skepsis betrachtet, sondern uns. Die Regierung.«
»Dann müssen wir der Bevölkerung eben sagen, was ich weiß.«
»Nein. Du hast dich bereits lächerlich genug gemacht. Niemand wird dir glauben. Oder denkst du, Saintdemar hätte dich laufen lassen, wenn er in dir eine Gefahr sähe?«
So schwer es ihr fiel, Chandra musste zugeben, dass Maya recht hatte. Sie hatte ProMars vernichten wollen - und versagt. Alix Nugamm war tot und ProMars stand besser da denn je. Und das war ganz alleine ihre Schuld.
Wie sollte sie diesen Fehler nur wieder gutmachen?
Sie bezweifelte, dass sie es überhaupt jemals konnte.
»Chandra«, sagte Maya in versöhnlicherem Tonfall, als sie den hängenden Kopf ihrer
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