28 Minuten
eine gute Show abgezogen hatte, der Gedanke an den Banküberfall machte ihm Angst. Abgesehen von einem Schokoriegel, den er als Kind hatte mitgehen lassen, hatte er noch nie etwas gestohlen – er hatte überhaupt nie gegen das Gesetz verstoßen, war nie gewalttätig geworden, hatte sich nach der achten Klasse noch nicht mal mehr geprügelt, und jetzt plante er einen Bankraub. Genau genommen hatte er den Bankraub schon geplant. Shrini und er hatten bereits alle Feinheiten ausgearbeitet. Jetzt mussten sie es nur noch durchziehen.
Der Plan schien inzwischen ein Eigenleben entwickelt zu haben, er zog Dan und Shrini mit sich. Keiner von beiden war in der Lage, auszusteigen. Obwohl sie es vermutlich beide wollten, Dan zumindest. Und er würde die Sache auch wirklich sein lassen, wenn seine Netzhäute sich nicht zersetzen würden. Als er seine Arbeit verlor, hatte er auch seine Berufsunfähigkeitsversicherung verloren. Ohne die Versicherung war er am Arsch. Wenn er den Überfall nicht durchzog, würde er seine Familie zu einem Leben auf Sozialhilfeniveau verurteilen. Die Bank zu überfallen würde Nerven kosten, aber irgendwie musste er eine Möglichkeit finden, den Mut dazu aufzubringen.
Vor allem durfte er jetzt nicht durchdrehen. Einen Schritt nach dem anderen, sagte er sich, musste aber darüber lachen. Denn dummerweise war er ein verdammt guter Programmierer und suchte immer nach Fehlern in seiner Logik. Jetzt tat er dasselbe und malte sich die schlimmstmöglichen Szenarien aus. Ein Bauchkrampf ließ ihn zusammenzucken. Seine um das Steuer geklammerten Hände taten weh. Er musste sich unter Kontrolle bekommen, bevor er Joel traf, sonst war der Plan tot. Joel konnte Angst riechen.
Gott, er wünschte, er hätte ein Hemd zum Wechseln mitgenommen. Das, was er trug, war schon durchgeschwitzt. Er würde an einem Einkaufszentrum halten müssen. Er konnte Joel so, wie er sich fühlte, nicht gegenübertreten, schon gar nicht in einem durchgeschwitzten Hemd. Irgendwie musste er ein bisschen Zuversicht zusammenkratzen, ein bisschen Mut.
02
Gordon Carmichael zog den Bauch ein und betrachtete sich im Badezimmerspiegel. Mit achtundfünfzig verfügte er immer noch über dichtes blondes Haar, und soweit er sehen konnte, war noch kein einziges davon grau. Er drehte sein Gesicht von der einen Seite zur anderen und suchte nach Hautfalten. Zufrieden trat er einen Schritt zurück. Er schob seine Unterlippe vor, hob sein Kinn und klopfte gegen das Fleisch unter seinem Kiefer. Wären nicht diese Kehllappen, er hätte für Anfang vierzig durchgehen können. Er zog die Haut mit der Hand straff, um zu sehen, wie er ohne aussah. Mitte dreißig vielleicht. Wenn er sich nur die OP leisten könnte.
Er schaute noch einmal in den Spiegel, bevor er sich abwandte. Er hatte in seinem Lebenslauf bereits fünf Jahre weggelassen, doch um unter fünfzig zu kommen, musste er einige weitere streichen. Siebenundvierzig schien ein gutes Ziel zu sein, Kehllappen hin oder her.
Gordon seufzte. Er verließ das Bad, ging durch ein kleines Schlafzimmer und erreichte dann einen dritten Raum, der als Esszimmer, Wohnzimmer und Computerzimmer fungierte. Seine Wohnung war nicht groß – 40 Quadratmeter. Sie war mal abbezahlt gewesen. Allerdings hatte er in den drei Jahren, die er jetzt arbeitslos war, den für die Bude größtmöglichen Kredit aufgenommen. Er hatte versucht, seine monatlichen Lebenshaltungskosten durch den Handel mit Optionsscheinen reinzubekommen, aber ein paar schlechte Monate hatten seine Ersparnisse auf unter fünftausend Dollar reduziert. Jetzt blieb ihm ein Haufen überfällige Kreditrechnungen, und letzte Woche hatte er die Ankündigung der Zwangsversteigerung erhalten. Wenn sich nicht bald etwas tat, saß er tief in der Tinte. Er setzte sich vor seinen Computer, rief seinen Lebenslauf auf und verpasste ihm ein Facelifting, indem er ein paar Daten änderte und weitere vier Jahre aus seiner Zeit bei Vixox Systems strich. Etwas wie Reue stieg in ihm auf, als er seinen kosmetisch überarbeiteten Lebenslauf noch einmal ansah. Eine der wenigen Leistungen, die ihm etwas bedeuteten, waren seine einundzwanzig Jahre bei Vixox. Jetzt, nach zwei Korrekturen, waren aus diesen einundzwanzig Jahren schlappe zehn geworden. Aus irgendeinem Grund sorgte diese Vorstellung bei ihm für ein Gefühl innerer Leere.
Er veröffentlichte seinen Lebenslauf auf mehreren Internetplattformen für Techniker. Bevor er den Computer ausschaltete, überprüfte er seine
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