28 Tage lang (German Edition)
1
Sie hatten mich entdeckt.
Die Hyänen hatten mich entdeckt!
Und sie hefteten sich an meine Fersen.
Das spürte ich instinktiv. Ohne sie gesehen oder gehört zu haben. So wie ein Tier spürt, dass es in großer Gefahr ist, selbst wenn es den Feind in der Wildnis noch gar nicht erblickt hat. Dieser Markt, dieser für die Polen ganz gewöhnliche Markt, auf dem sie ihr Gemüse, ihr Brot, ihren Speck, ihre Kleidung, ja, sogar ihre Rosen kauften, war für Menschen wie mich die Wildnis. Eine, in der ich als Beute galt. Eine, in der ich sterben konnte, wenn man herausfand, wer oder besser gesagt was ich wirklich war.
Jetzt nur nicht schneller werden, dachte ich. Oder langsamer. Oder die Richtung wechseln. Schon gar nicht zu meinen Verfolgern schauen. Noch nicht mal unregelmäßig atmen. Nichts tun, was ihren Verdacht bestätigt.
Es fiel mir unglaublich schwer, einfach so weiter über den Markt zu schlendern, als genösse ich die Sonne dieses überraschend warmen Frühlingstages. Alles in mir wollte weglaufen, aber dann wäre den Hyänen klar gewesen, dass ihr Verdacht stimmte. Dass ich keine normale Polin war, die gerade ihre Einkäufe erledigt hatte und ihre vollen Taschen nun zu den Eltern nach Hause trug, sondern eine Schmugglerin.
Ich hielt kurz inne, prüfte zum Schein die Äpfel an dem Stand einer Bäuerin und überlegte, ob ich mich nicht vielleicht doch umschauen sollte. Immerhin konnte es ja sein, dass ich mir alles nur einbildete, dass mich doch niemand verfolgte. Doch jede Faser meines Körpers wollte fliehen. Und ich hatte schon vor langer Zeit gelernt, meinen Instinkten zu vertrauen. Sonst hätte ich es wohl nicht geschafft, sechzehn Jahre alt zu werden.
Ich entschied mich gegen eine Flucht und ging langsam weiter. Die alte Bäuerin, die widerlich dick war – sie hatte anscheinend nicht nur genug, sondern sogar zu viel zu essen –, krächzte mir hinterher: «Das sind die besten Äpfel von ganz Warschau!»
Ich verriet ihr nicht, dass für mich jeder Apfel großartig war. Für die meisten Menschen, die innerhalb der Mauern leben mussten, wäre selbst ein angefaulter Apfel ein Genuss gewesen. Noch mehr die Eier, die ich in meinen Taschen trug, die Pflaumen und erst recht die Butter, die ich auf unserem Schwarzmarkt für viel Geld verkaufen würde.
Wenn ich jedoch überhaupt eine Chance haben wollte, hinter die Mauern zurückzukehren, musste ich erst einmal herausfinden, wie viele Verfolger ich hatte. Ganz sicher konnten sie ihrer Sache ja nicht sein, denn sonst hätten sie mich schon längst angehalten. Ich musste mich endlich nach ihnen umsehen. Irgendwie. Unauffällig. Ohne noch mehr Verdacht zu erregen.
Mein Blick fiel auf das Kopfsteinpflaster unter meinen Füßen. Ein paar Meter vor mir war ein Kanalgitter, und mir kam eine Idee. Zunächst ging ich ganz normal weiter. Dabei klackerten die Absätze meiner blauen Schuhe auf das Kopfsteinpflaster, die so wunderbar zu dem blauen Kleid mit den roten Blumen passten. Immer wenn ich schmuggelte, trug ich diese Sachen, die mir meine Mutter geschenkt hatte, als wir noch Geld hatten. Alle anderen Anziehsachen, die ich besaß, waren inzwischen schäbig, einige gar unzählige Male gestopft. Hätte ich sie getragen, hätte ich keine fünf Meter weit über den Markt gehen können, ohne aufzufallen. Doch dieses Kleid und diese Schuhe, die ich hütete wie meinen Augapfel, waren meine Arbeitskleidung, meine Tarnung, meine Rüstung.
Ich ging direkt auf das Kanalgitter zu und verfing mich absichtlich mit dem Absatz darin. Ich knickte leicht um, fluchte theatralisch «Au Mist, verdammter!», stellte meine Taschen ab und beugte mich runter, um den Absatz, der zwischen zwei Gitterstäben steckte, zu befreien. Dabei blickte ich mich verstohlen um und sah sie: die Hyänen.
Mein Instinkt hatte nicht getrogen. Das tat er leider nie. Oder dankenswerterweise, je nach Sichtweise.
Es waren drei Männer. Ein kleiner unrasierter Stämmiger mit brauner Lederjacke und grauer Schlägermütze ging voran. Er war so um die vierzig und offensichtlich der Anführer. Ihm folgten ein großer Bärtiger, der aussah, als könne er Felsbrocken werfen, und ein Junge in meinem Alter. Er trug ebenfalls Lederjacke und Schlägermütze und sah aus wie eine kleine Version des Anführers. War der womöglich sein Vater? Jedenfalls ging der Junge nicht zur Schule, sonst würde er sich ja nicht vormittags auf dem Markt herumtreiben, um auf Menschenjagd zu gehen.
Verrückt, innerhalb der Mauern
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